Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Haustür aufzureißen und zu sagen: »Komm rein, zieh den Mantel aus!« Dann verschwand sie schon wieder, um Evan einzufangen, ihren Dreijährigen, der aus der Badewanne entwischt war und nackt und tropfend nass durch den Flur eilte, um sich im Wohnzimmer auf eines der Sofas zu werfen und zu schreien. Von oben vernahm ich wüstes Gebrüll; Evans ältere Schwestern, Kayla und Megan, stritten wieder einmal bis aufs Messer. Irgendwo plärrte die kleine Siana, die im Januar ein Jahr alt geworden war. Ich stand zwischen Gummistiefeln, Regenschirmen, Fußbällen, Schlittschuhen und Hockeyschlägern im handtuchschmalen Flur, schälte mich irgendwie aus meinem Mantel und war froh, als Kendal Reece, Alexias Mann, aus der Küche auftauchte und mir wenigstens die Tulpen abnahm.
»Der ganz normale Wahnsinn«, sagte er und küsste mich auf beide Wangen. »Verstehst du, weshalb Alexia unbedingt ein viertes Kind haben wollte?«
»Typisch Alexia«, erwiderte ich. »Sie liebt es, an ihre Grenze zu gehen.«
Alexia erschien in der Wohnzimmertür, ihren nassen zappelnden Sohn unter dem Arm. »Bin gleich da«, sagte sie, »mach es dir gemütlich, ja?«
Ich folgte Ken in die Küche. Die Küche war so unordentlich und überfüllt wie der Rest des Hauses, aber von irgendwoher organisierte Ken eine Vase, stellte die Tulpen hinein und drückte mir ein Glas Weißwein in die Hand. Im Ofen brutzelte ein Braten, und zwischen einer Burg aus Legosteinen und Kästen mit Wasserfarben stand eine große Schüssel mit Salat auf dem Tisch. Es roch nach Tomaten, Zwiebeln, Gurken und Avocado. Ken übernahm fast immer das Kochen, wenn ich bei ihm und Alexia zu Besuch war. Er war Ingenieur für Schiffsbau und hatte, aus einer alten und seit Jahrhunderten an der Westküste ansässigen walisischen Familie stammend, oben in der Cardigan Bay zusammen mit einem Freund eine eigene Werft betrieben und Segelboote gebaut. Nach der Geburt der ersten beiden Kinder war die Familie nach Swansea gezogen, weil Alexia dort draußen auf dem Land, zudem ans Haus gebunden durch zwei Babys, eine Art Hüttenkoller entwickelt hatte. Jetzt arbeitete sie, während Ken pausierte und sich um die Kinder kümmerte; zugleich schrieb er an einem Buch über den Bau von Segelschiffen. Er hatte den Gedanken an dieses Werk schon lange mit sich herumgetragen und sah nun eine gute Gelegenheit, seinen Plan umzusetzen. Er und Alexia waren ein Traumpaar, was mich manchmal mit Neid erfüllte. Ich zog, was Männer anging, immer nur Nieten.
Ich räumte ein paar Kinderschuhe, in denen unglaublich dreckige Socken steckten, von einem Stuhl, setzte mich, trank von meinem Wein und sah Ken zu, der das Gemüse in Schüsseln füllte, den Braten aus dem Ofen zog und in Scheiben schnitt. Ich fühlte mich entspannt und zunehmend zuversichtlich. Du wirst auch ein Zuhause finden, dachte ich, vielleicht schneller, als du es dir vorstellen kannst.
Schließlich erschien Alexia in der Küche, abgekämpft und mit wirren Haaren. »Alle im Bett«, sagte sie, »Ken, ich brauche auch sofort ein Glas Wein!«
Sie ließ sich auf die Bank fallen und fächelte ihren erhitzten Wangen Kühlung zu. »Das ist das Kindermädchen«, meinte sie. »Sie verwöhnt die Kinder zu sehr. Deshalb sind sie dann abends außer Rand und Band!«
Die Reeces leisteten sich stundenweise ein Kindermädchen, damit Ken genug Zeit für sein Buch fand. Alexia konnte das Mädchen nicht leiden, aber es war wie mit dem Haus: Sie kostete nicht viel, also arrangierte man sich.
Ken reichte seiner Frau ein Glas Wein und meinte: »Ich habe übrigens ein Gedeck im Esszimmer wieder weggenommen. Du hattest aus Versehen für vier Personen gedeckt.«
Alexia nahm einen tiefen Schluck. »Nein. Das war schon richtig so.«
»Wer kommt denn noch?«, fragte ich erstaunt.
Die Sache schien Alexia ein wenig peinlich zu sein. »Ich habe noch einen alten Freund von uns eingeladen. Ganz spontan.«
»Wen denn?«, wollte Ken wissen.
»Matthew.«
»Oh nein!«, sagte Ken.
»Wir haben ihn schon viel zu lange nicht mehr eingeladen«, meinte Alexia. »Er ist zu oft allein, und es wird wirklich Zeit, dass …«
Offensichtlich ein alleinstehender Mann. Um den man sich kümmern musste! Mir schwante Schlimmes. »Oh, Alexia, bitte nicht! Das wird ein Verkuppelungsdinner, stimmt’s? Deine arme, einsame Freundin Jenna. Und euer armer, einsamer Freund Matthew. Lass mich raten: Er ist geschieden? Verwitwet? Und findet einfach keine neue Beziehung?«
Für einen Moment
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