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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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duschte oder frische Sachen anzog, aber dann dachte ich, dass das wirklich völlig egal war. Wenn ich ihn jetzt nach oben schickte, überlegte er es sich am Ende noch anders.
    »Schön«, sagte ich, »gehen wir.«
    Wir verließen Swansea in Richtung Westen. Mir schwebte ein hübscher Strand vor, Langland oder Caswell Bay. An einem gewöhnlichen Mittwochvormittag würde nicht viel los sein. Wir würden die Wellen, die Möwen und den Meeresgeruch ganz für uns haben. Aber am Ende war meine Idee gar nicht so gut gewesen. Ken saß apathisch neben mir, tief in Gedanken versunken. Vielleicht hätte ich ihn ins Bett stecken sollen, anstatt ihn zu einem Spaziergang zu überreden.
    Als ich schon dachte, er würde sich überhaupt nicht mehr rühren, richtete er sich plötzlich auf und sah zum Fenster hinaus. »Würde es dir etwas ausmachen, Richtung M4 abzubiegen? Ich würde dir gern etwas zeigen.«
    »Natürlich. Wohin möchtest du denn?«
    »Nach Cardigan.«
    Cardigan. Die Erinnerung an meinen Trip dorthin zusammen mit Matthew überfiel mich jäh und fast schmerzhaft. Es war so schön gewesen. Und es schien so lange her zu sein, obwohl nicht einmal drei Wochen vergangen waren.
    »Nach Cardigan? Das ist nicht ganz nah!«
    »Trotzdem. Wenn du Zeit hast?«
    »Klar habe ich Zeit.« Aber so einfach war das natürlich nicht. Das Auto gehörte mir nicht, und Garrett hatte es mir nicht geliehen, um einen längeren Ausflug zu machen. Er war vielleicht schon fertig bei der Polizei und würde wahrscheinlich zu Ken hinüberfahren. Dort vor verschlossener Tür stehen.
    Doch dann verscheuchte ich meine Skrupel. Garrett hätte mich nicht besuchen müssen. Jetzt hatte er eben den Ärger. Das würde ihn hoffentlich davon abhalten, es noch einmal zu tun.
    Wir waren über zwei Stunden unterwegs, ehe wir Cardigan erreichten. Das Städtchen sah heute ganz anders aus als an jenem sonnigen Tag, als Matthew und ich dort herumbummelten und schließlich in einem Café einen Eistee tranken. Heute war alles so grau. Ein fast herbstlich wirkender Tag, der Wind wurde immer stärker, die tief hängenden grauen Wolken jagten über den Himmel. Ich dachte an Matthew, der jetzt den Ort aufsuchte, an dem seine Frau einen qualvollen Tod gefunden hatte. Ich fragte mich, ob ich darauf hätte bestehen sollen, ihn zu begleiten. Hier in Cardigan an der Seite von Ken fühlte ich mich plötzlich völlig deplatziert. Aber dann riss ich mich zusammen. Ken war wirklich elend dran, und er war auch wichtig. Er war der Mann meiner besten Freundin. Es war meine Pflicht, mich um ihn zu kümmern.
    Wir durchquerten die Stadt und fuhren auf einer schmalen, kurvigen Landstraße in ein Tal hinunter. Der Fluss, der Cardigan durchschnitt, vereinigte sich hier mit einem breiten Meeresarm, der tief ins Land ragte. Ken war ganz aufgeregt. Nichts erinnerte mehr an den in Trostlosigkeit erstarrten Mann, den ich die ganze Zeit über neben mir gehabt hatte.
    »Fahr mal langsamer«, bat er, und dann sagte er: »Hier. Hier musst du jetzt links abbiegen.«
    Ich bog auf einen unbefestigten Feldweg ein. Er führte direkt auf das Wasser zu. Am Ende des Feldwegs gewahrte ich einen lang gestreckten Schuppen, eher sogar eine Art Lagerhalle aus massivem Holz gebaut. Daneben ein kleines Haus.
    »Eine Werft?«, fragte ich.
    »Halt an«, sagte Ken. Er stieg aus, kaum dass ich gebremst hatte, und atmete so tief ein, als wolle er alles, was er sah, so nah wie möglich an sich heranziehen.
    »Eine Werft«, sagte er. »Meine Werft.«
    Auch ich stieg aus. »Ach so.« Ich begriff. »Hier war es!«
    »Ja. Hier habe ich gelebt. Hier habe ich gearbeitet.«
    Ich kannte die Szenerie aus Alexias Briefen von damals. Den großen Schuppen, in dem die Segelboote gebaut wurden. Das kleine Häuschen daneben mit den niedrigen Zimmern, der altmodischen Küche, dem Bad, in dem man sich beim Umdrehen blaue Flecken holte, so eng war es. Den Blick über das Wasser, auf dem die Männer die Boote probeschwimmen ließen. Den Fußweg nach Cardigan hinauf zum Gemischtwarenladen, in dem Alexia einzukaufen pflegte. Vier Jahre lang. Vier Jahre, in denen ihre Briefe zunächst begeistert geklungen hatten und dann ganz langsam immer schwermütiger wurden. Ich erinnerte mich, wie sie von der Landschaft geschwärmt hatte, davon, wie sie morgens in der Bucht joggen war, direkt aus dem Bett und den Armen ihres kräftigen, gut aussehenden, faszinierenden Bootsbauers kommend. Aber irgendwann hatte sie die Einsamkeit überwältigt. Sie war

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