Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
mir wäre klar geworden, dass Garrett natürlich eine Absicht verfolgte, indem er mir seinen Wagen gab. Nun konnte er nicht weg. Die Hoffnung, ich würde irgendwann in meine Wohnung zurückkehren und kein Zeichen mehr von ihm außer den Rosen vorfinden, war damit hinfällig. Stattdessen würde er nun wahrscheinlich irgendwann auch bei Ken aufkreuzen und erneut an mir kleben. Es sei denn, sie lochten ihn bei der Polizei gleich ein. Was ich allerdings für ziemlich unwahrscheinlich hielt.
Ich hatte zweimal versucht, Matthew zu erreichen, war aber nur an die Mailbox seines Handys geraten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er noch schlief, aber wahrscheinlich hatte er sein Telefon ausgeschaltet. Er wollte für sich sein.
Ich hatte Ken ein paar Tage lang nicht gesehen und erschrak, als er mir die Tür öffnete. Er wusste natürlich inzwischen auch, was mit Vanessa geschehen war, und wie uns alle ließ ihn das angstvoller und hoffnungsloser sein, wenn er an Alexia dachte. Er sah entsetzlich müde aus, zerquält, gemartert. Er war nicht rasiert und nicht gekämmt, und seine Kleidung wirkte, als habe er sie seit mindestens drei Tagen nicht mehr gewechselt. Was bedeutete, dass er wahrscheinlich keine Nacht mehr ins Bett gegangen war. Mich überfiel ein schrecklich schlechtes Gewissen. Seit der Entdeckung von Vanessas Leiche war ich nur noch um Matthew gekreist, hatte mich bemüht, ihn zu stützen und aufzubauen. Matthew selbst hatte nicht die Kraft gehabt, nach Ken zu sehen, aber ich hätte es tun müssen. Egal wann und egal wie, ich hätte für ihn da sein müssen.
»Ach, Jenna«, sagte er, »du bist es. Magst du reinkommen?«
Ich trat ein, umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung zaghaft.
»Ken«, sagte ich einfach nur. Wir standen eine Weile so im Eingangsflur und hielten einander fest, dann löste er sich und machte einen Schritt zurück.
»Wie geht es Matthew?«, fragte er.
»Er nimmt Abschied. Dort, wo … man Vanessa gefunden hat.«
Ken nickte. »Das ist mutig von ihm.«
Es war still im Haus. Die beiden älteren Kinder waren wohl schon zur Schule gegangen, aber wo waren die Kleinen? Siana zumindest ging sicher noch nicht einmal in einen Kindergarten.
»Wo sind die Kinder?«, fragte ich.
Er sah aus, als schäme er sich dafür, etwas Unrechtes getan zu haben. »Ich habe sie zu meiner Mutter gebracht. Alle vier. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte Angst, dass ich zusammenbreche und dass sie das mitbekommen.« Er ließ die Schultern hängen. Seine ganze Körpersprache verriet die furchtbare Last, die auf ihm lag. »Ich habe die Großen in der Schule beurlaubt. Die Lehrerin hielt das auch für richtig. Es ist eine … sehr spezielle Situation.«
»Ja, und ich glaube, du hast das Richtige getan«, sagte ich, aber ich war nicht sicher, ob ich das wirklich meinte. Daher also auch sein äußerer Verfall, die sichtbare Verwahrlosung. Die Kinder hatten ihn angestrengt, aber er hatte sich auch nicht gehen lassen dürfen. Er hatte Mahlzeiten kochen und Wäsche waschen müssen, Schularbeiten kontrollieren und die Küche aufräumen. Jetzt fiel das weg, er musste nicht einmal mehr den Anschein von Normalität und einer halbwegs funktionierenden Struktur aufrechterhalten. Er aß nichts mehr, er duschte nicht mehr, er schlief nicht mehr.
»Weißt du was«, sagte ich spontan. »Du solltest hier mal raus. Es ist nicht gut, dass du nur im Haus herumstreifst. Komm, wir fahren irgendwohin, ans Meer vielleicht, und gehen spazieren. Ich habe den ganzen Tag frei.«
Er blickte mich skeptisch an. »Und wenn genau jetzt die Polizei anruft? Wenn es irgendetwas Neues gibt?«
»Die haben deine Handynummer. Und meine auch. Man kann dich jederzeit erreichen. Aber du wirst verrückt, wenn du immer nur hier wartest und das Telefon anstarrst!«
»Wir haben kein Auto«, erinnerte er mich.
Ich schwenkte den Schlüssel. »Doch. Garretts Auto. Er ist gerade zu Besuch bei mir.«
»Garrett?« Ken wurde plötzlich wacher und aufgeregter. »Aber dachte die Polizei nicht, dass er womöglich …?«
»Er ist schon bei der Polizei. Er ist selbst dorthin gegangen, er will das klarstellen. Er kommt direkt aus Frankreich, wo er Urlaub gemacht hat, und er hat Belege dafür. Ken, er hat garantiert nichts mit Alexias Verschwinden zu tun.«
Ken fiel wieder in sich zusammen. »Okay.«
»Du kommst mit?«
»Ja.« Er öffnete die Haustür. Ganz kurz lag es mir auf der Zunge, ihn darauf hinzuweisen, dass es nichts schaden würde, wenn er vorher
Weitere Kostenlose Bücher