Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Karte oder einen Autoatlas im Wagen hatte, und sie hatte verneint. Er hatte das natürlich nicht einfach geglaubt, sondern die gesamte Ablage, das Handschuhfach, die Fächer in den Türen durchsucht, sich nach hinten geneigt und sogar in den Fußraum der Rücksitze gespäht. Nichts. Es gab tatsächlich keine Möglichkeit, sich auch nur ansatzweise zu orientieren.
Vivian weinte nicht mehr und fuhr unbeirrt geradeaus, ohne zu jammern oder mit ihm wegen ihrer Freilassung zu verhandeln. Klar, jede Meile, die sie zurücklegte, arbeitete für sie. Sie wusste, dass die Fahrt nun sehr bald zu Ende sein würde. Sie wusste, dass Ryan dabei war, die Kontrolle zu verlieren. Vielleicht hoffte sie, dass er aufgeben würde, ehe sie sich zu Fuß weiter durchschlagen würden.
»Okay«, sagte er, »bei der nächsten Möglichkeit biegen wir Richtung Norden ab. Wir kommen zu weit wieder in westliche Richtung, und wir müssen weg von diesem idiotischen Nationalpark.«
Sie fuhren eine schmale Landstraße entlang, die durch dichten Wald führte. Auf beiden Seiten drängten sich die Bäume bis unmittelbar an den Asphalt heran. Immer wieder führten dunkle Wege in das Dickicht hinein, Wanderwege zum Teil, aber manchmal auch nur Trampelpfade, auf denen das Wild kreuzte. Nichts, wohin man mit dem Auto abbiegen und in eine dicht besiedelte Gegend gelangen konnte.
Ryan fing an zu schwitzen. Immer wieder wollte er sich hektisch mit der Hand durch die Haare fahren, und jedes Mal war er wieder irritiert, wenn er die Stoppeln fühlte. Als könne er sich jetzt schon nicht mehr daran erinnern, wie er in Harrys Bad gestanden und sich den Kopf rasiert hatte, dabei waren seitdem keine vierundzwanzig Stunden vergangen. Er hatte einen wirklich guten Plan gehabt, und es hätte funktionieren können.
Aber wahrscheinlich, dachte er, gehen bei geborenen Verlierern eben sogar Erfolg versprechende Pläne am Ende schief.
Die Straße führte nun bergauf. Ryan fragte sich, was jenseits der Kuppe lag, die sie gleich passieren würden. Vielleicht der Blick auf eine Stadt? Er war dicht davor zu beten, dass es so sein möge. Dass diese furchtbare Straße nun nicht endlos durch Wälder wie diese führen würde.
»Also, ich schätze, in ungefähr zehn Minuten bleiben wir stehen«, sagte Vivian. »Selbst die Reserve ist jetzt fast aufgebraucht.«
»Glaub nicht, dass ich dich dann laufen lasse«, warnte Ryan. »Notfalls schlagen wir uns zu Fuß durch, und das wird verdammt anstrengend für dich!«
»Ich kann kaum laufen. Mein Fuß …«
»Eben«, sagte Ryan, »deshalb solltest du hoffen, dass wir eine andere Möglichkeit finden.«
Vivian erwiderte nichts mehr. Er sah ihrem Gesicht an, dass er sie eingeschüchtert hatte. Gut so. Ihre wachsende Selbstzufriedenheit ging ihm langsam auf die Nerven.
Sie erreichten die Kuppe.
Und vor Überraschung und Schreck trat Vivian mit aller Kraft in die Bremse, so jäh, dass das Auto ein ganzes Stück weit mit quietschenden Reifen die Straße entlangschlitterte und beide Insassen in ihre Gurte geschleudert wurden. Es war keine Stadt, die auf sie wartete, auch nicht die eintönige Einsamkeit der letzten Stunde.
Sondern eine Polizeisperre.
Ryan starrte die vielen Polizeifahrzeuge an, die entlang der Straße parkten, er sah die Menge an Beamten, und ihm war sofort klar, dass sie nicht in eine zufällige Geschwindigkeitskontrolle geraten waren, sondern dass dieser Aufmarsch hier Teil der Fahndung nach ihm war. Um ein paar Raser zu schnappen, stellten die nicht acht oder zehn Leute ab.
Und noch etwas begriff er: Wenn die sich hier in dieser Abgeschiedenheit postierten, dann hatten sie erst recht in und um die größeren Städte herum Stellung bezogen, und zwar weiträumig.
Vivian nestelte hektisch an ihrem Gurt herum, schaffte es jedoch mit ihren zitternden Händen nicht, ihn zu öffnen. Ryan drückte ihr das Messer in die Seite.
»Du bleibst!«, befahl er.
Sie gab ihre nutzlosen Bemühungen auf und fing nun doch wieder an zu weinen. »Es ist aus, Ryan. Sie werden schießen. Sie haben mit Sicherheit eine bewaffnete Einheit angefordert. Sie werden …«
»Niemand wird schießen. Sie wissen, dass du mit im Auto bist, also können sie nichts tun!« Er überlegte fieberhaft. Die Beamten hatten das so plötzlich abgebremste Auto natürlich gesehen. Zwei von ihnen kamen näher.
»Dreh um! Dreh sofort um!«
»Das bringt doch nichts!«
»Dreh um!«
Der Motor lief noch. Vivian wendete den Wagen und fuhr an. Ryan riskierte einen
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