Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
streiten. Unsere glückliche Ehe war genauso eine Fassade wie alles Übrige: Sie stimmte von vorn bis hinten nicht. Und wir waren unausweichlich in ihr verfangen: vier Kinder, ich ohne Job, Alexia zu ihrer schlecht bezahlten Arbeit nur in der Lage, weil ich das kostenlose Kindermädchen spielte … Wir hätten uns nicht trennen können. Wie hätte das funktionieren sollen?«
Ich erwiderte nichts. Was sich vor mir entrollte, war das Bild eines einzigen großen Desasters, eines Dramas, das umso explosiver und gefährlicher erschien, als die Beteiligten eine unvorstellbar große Energie darauf hatten verwenden müssen, ihrer Umwelt eine heile Welt vorzugaukeln, die es nicht einmal ansatzweise gegeben hatte. Und sie waren perfekt darin gewesen: Ich hatte nichts gemerkt. Niemand hatte etwas gemerkt.
»Und dann eskalierte alles«, sagte Ken. Er saß jetzt in einer Pfütze, aber das machte ihm offenbar nichts aus. »An diesem Freitagabend, an dem du die SMS geschickt hast …«
Ich schluckte. Ich hoffte, er würde mir jetzt nicht gleich erzählen, dass ich der Auslöser für die finale Tragödie gewesen war.
Er ahnte wohl, was ich dachte, denn er sagte: »Nein, nein, du warst nicht schuld. Wir steckten bereits im schönsten Zoff. So war es praktisch jeden Abend. Alexia kam aus der Redaktion und begann zu trinken, weil sie mit dem Druck nicht klarkam, und ich trank, weil mich meine Situation krank machte, und dann fingen wir an, einander zu beschimpfen, weil jeder den anderen für den ganzen Ärger verantwortlich machte und weil wir beide überzeugt waren, in diesem Irrsinn nur deshalb zu stecken, weil wir irgendwann so blöd gewesen waren, uns mit dem falschen Partner einzulassen. Wir hassten einander dermaßen … Dann kam deine SMS , und Alexia las sie vor und machte irgendeine gehässige Bemerkung in der Art: Wäre ja ein Wunder, wenn sie tatsächlich am Sonntag hier auftaucht. Wenn sie mal am Vögeln ist, findet sie erfahrungsgemäß kein Ende. Und ich sagte: Nur kein Neid! Denn Alexia platzte fast vor Neid auf dich, das war kaum auszuhalten.«
»Auf mich?« Ich war vollkommen perplex. Wie sehr hatte ich Alexia immer bewundert und, ja, auch beneidet! Und nun sollte es andersherum gewesen sein?
»Klar«, sagte Ken, »aus ihrer Sicht hattest du alles, was sie nicht mehr hatte: Freiheit. Unbeschwertheit. Jugend und Schönheit. Und nun auch noch einen richtig tollen Mann!«
»Mit dem sie mich zusammengebracht hatte!«
»Ja, aber das heißt nicht, dass man es ertragen kann, wenn plötzlich das große Glück ausbricht. Alexia hat dich gehasst, Jenna. Sie hat zum Schluss jeden gehasst, dem es besser ging als ihr.«
Ich würde nicht mehr herausfinden können, ob es stimmte, was er sagte. Die Vorstellung, dass es die Wahrheit sein könnte, erfüllte mich mit Traurigkeit.
»Es kam dann eines zum anderen«, sagte Ken. »Sie schrieb dir zurück, und dann begann sie, mir zu erklären, dass Matthew ein wirklich guter Typ sei, das komplette Gegenteil von mir natürlich, und dass sie nicht mehr verstehen könne, was sie einmal in mir gesehen hatte. Eigentlich war es genauso wie immer. Dieselben Verletzungen, Anklagen, Beleidigungen. Zwischendurch machte ich das Abendessen für die Kinder, brachte sie dann ins Bett. Die Zeit nutzte sie, um noch mehr zu trinken. Sie wurde noch aggressiver. Als ich herunterkam, ging es weiter, und schließlich eskalierte alles. Sie ging mit erhobenen Fäusten auf mich los, ohrfeigte mich, schlug auf mich ein … Ich versuchte zunächst nur, sie abzuwehren, ihren Fäusten irgendwie zu entgehen … Aber dann … Alles schwemmte mit einem Mal hoch, verstehst du? Alles, was gewesen war in den Jahren zuvor, mein unaufhaltsamer Abstieg, mein trostloser Alltag, meine zu einem Nichts zusammengeschmolzene Selbstachtung, alles eben. Und nun stand ich in unserem unordentlichen, überfüllten, nicht abgezahlten Wohnzimmer, und meine Frau schlug auf mich ein und nannte mich den größten Verlierer unter der Sonne, und auf einmal … brannten meine Sicherungen einfach durch …« Er sprach jetzt sehr leise. Sein Blick war hoffnungslos. Er durchlebte jene Minuten noch einmal.
»Ich schlug zurück. Mit aller Kraft. Ich traf sie mit der Faust an der Schläfe. Sie kippte einfach um und war still. Endlich still.«
Die Worte, obwohl so leise gesprochen, dröhnten sogar über das Rauschen der Flut hinweg.
Sie kippte einfach um und war still. Endlich still.
Meine Alexia. Egal, ob sie mich gehasst hatte am Ende,
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