Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
sie blieb meine Alexia. Die so viel von mir wusste. Mit der ich so viele fröhliche Erlebnisse geteilt hatte, endlose Gespräche, ewiges Gekicher, Liebeskummer, tolle Eroberungen, einfach alles. Wir hatten über Figurprobleme geredet und über Mode, über Männer und Sex, über Niederlagen und Erfolge, geheime Träume und tief verwurzelte Ängste.
Alexia war tot.
Und ich saß hier mit dem Mann, der sie getötet hatte.
Es war nicht der Moment zu trauern. Zu grübeln.
»Ken«, sagte ich, »wir müssen hier raus!«
»Ich war vollkommen geschockt, als sie da plötzlich lag, ohne Puls, ohne Herzschlag, und ich begriff, was passiert war. Ich hatte das nicht gewollt, aber ich hatte sie mit einem einzigen Faustschlag umgebracht. Ich wusste: Irgendwie muss die Situation geklärt sein, ehe es Morgen wird und die Kinder herunterkommen. Es war etwa neun Uhr, und zum Glück schliefen sie bereits. Ich entsann mich des Plansch beckens, das Evan kaputt gemacht hatte und das ich so wieso entsorgen wollte. Ich wickelte Alexia darin ein und schleifte sie zum Auto, das Gott sei Dank in der Garage stand. Es war verdammt schwer, sie hineinzuwuchten, und ich war schweißgebadet hinterher. Dann hievte ich noch mein Motorrad ins Auto. Inzwischen war mir die Idee gekommen, die Szenerie des Verschwindens von Vanessa nachzustellen in der Hoffnung, damit eine erstklassige falsche Fährte zu legen. Aber das bedeutete, ich würde für den Rückweg kein Auto haben. Deshalb die Honda.«
Ziemlich kaltblütig und durchdacht. Aber vermutlich hatte Ken unter Schock gestanden und einfach weiter rational funktioniert. Der Zusammenbruch kommt immer erst, wenn sich der Schock löst.
»Ich verstehe«, sagte ich. Ein dämlicher Kommentar, aber mir fiel kein anderer ein. Wie sollte man auch mit alldem umgehen, was ich in der letzten Stunde erfahren hatte?
»Ich wartete bis elf Uhr, als es endlich richtig dunkel war, dann fuhr ich los. Ich würde heute die Stelle, an der ich Alexia mitsamt dem Planschbecken aus dem Wagen gezerrt habe, selbst nicht mehr finden. Irgendwo in der Wildnis, am Rande eines Steinbruchs. Sie rollte dort hinunter, und soweit ich das erkennen konnte, tauchte sie in dem Teppich aus Gräsern und Brennnesseln unter, der sich auf dem Grund gebildet hatte. Dann suchte ich den berühmten Rastplatz auf. Vor zwei Jahren sind Alexia und ich einmal mit Matthew dort gewesen, deshalb wusste ich ungefähr, wo er sich befand, aber ich verfuhr mich trotzdem. Die Zeit verrann … Ich musste rechtzeitig wieder zu Hause sein, und zwar ehe es wieder hell sein würde. Die Nächte sind um diese Jahreszeit ziemlich kurz.«
»Aber du hast es geschafft«, stellte ich fest. Denn alles hatte ja offensichtlich geklappt. Alexia war spurlos verschwunden, das Auto hatte auf dem Parkplatz gestanden und Ken rechtzeitig sein Zuhause erreicht. Ich sah ihn auf seiner kleinen Honda Dax durch die Nacht tuckern. Er musste zu Tode erschöpft gewesen sein, als er endlich daheim ankam. Dann hatte er irgendwann die Kinder geweckt, das Frühstück gemacht und begonnen, die Geschichte zu verbreiten, dass Alexia selbst zu Recherchearbeiten aufgebrochen sei. Spät am Abend hatte er mich angerufen und mir vorgeheuchelt, welche Sorgen er sich mache, weil sie nicht zu Hause sei und nichts von sich hören ließe.
Mir fiel plötzlich etwas ein.
»Aber das Auto«, sagte ich. »Eine Nachbarin hat doch Alexia an jenem Samstagmorgen davonfahren sehen!«
»Da kam mir wirklich der Zufall zu Hilfe«, sagte Ken, »und zwar in unglaublich bedeutungsvoller Weise. Weil man glaubte, Alexia sei erst um sieben Uhr morgens daheim aufgebrochen, hatte ich das sichere Alibi. Die Kinder konnten meine Anwesenheit bestätigen, und dieser Gemüsehändler auch. Ich konnte nichts mit ihrem Verschwinden zu tun haben.«
»Aber …«
»Am Ende der Straße«, erklärte Ken, »gibt es eine Familie, die einen Vauxhall Movano fährt. Mir ist es schleierhaft, wie man ihn mit unserem Bedford verwechseln kann, aber beides sind Kastenwagen, beide sind weiß. Die alte Dame glaubte, unser Auto zu sehen, aber es muss das andere gewesen sein. Da sich das so perfekt mit meinen Angaben deckte, hat niemand an ihrer Aussage gezweifelt.«
Schlagartig kam mir eine Erinnerung: ein Aprilabend, ich war bei Matthew gewesen und hatte hinterher das Bedürfnis gehabt, Alexia zu sehen. Ich stand vor ihrer Haustür, niemand reagierte auf mein Klingeln, und noch während ich wartete, war ein Kleinbus um die Ecke gekommen, den
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