Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
ich im ersten Moment für das Auto der Reeces gehalten hatte. Ich hatte meinen Irrtum rasch erkannt, und der Wagen war in einer anderen Einfahrt verschwunden. Eine alte Dame, die wahrscheinlich schlechtere Augen hatte als ich und sich noch weniger mit Automarken auskannte, konnte die beiden Autos jedoch leicht verwechselt haben.
»Aber genau das ist der Grund, weshalb ich …«, fuhr Ken fort und stockte dann.
»Ja?«, fragte ich.
Seine Stimme wurde kälter und distanzierter. »Das ist der Grund, weshalb ich beschlossen habe, abzuhauen«, sagte er. »Heute. Ja, genau heute. Und alles war vorbereitet. Alles war perfekt. In meiner Garage steht ein Mietwagen, mit dem ich wegfahren wollte. Aber dann musstest du ins Haus getrampelt kommen. Verdammt nochmal, Jenna, konntest du nicht einfach bleiben, wo der Pfeffer wächst?«
Ich starrte ihn an. »Du wolltest weg?«
»Denk doch mal nach«, sagte er. »Wie lange dauert es wohl noch, bis die Polizei dahinterkommt, dass es in derselben Straße ein ziemlich ähnliches Auto gibt und dass die Zeugin, was Autotypen angeht, nicht gerade zuverlässig ist? Wie lange kann es noch dauern, bis irgendjemand über Alexias Leiche stolpert? Es ist ein Wunder, dass das jetzt drei Wochen lang nicht passiert ist, und liegt wohl nur daran, dass sie dort, wo sie gelandet ist, von Brennnesseln förmlich zugewuchert wird. Aber der Herbst wird kommen, die Vegetation wird sich verändern. Irgendwann wird Alexia dort wie auf dem Präsentierteller liegen und unser Planschbecken auch. Mit meinen Fingerabdrücken darauf. Jenna, die kriegen mich, wenn ich einfach nur weiterhin daheim herumsitze und gemütlich warte, bis sie genügend Indizien gegen mich haben. Jetzt sind sie hinter dem Kerl her, der Vanessa auf dem Gewissen hat, und das lenkt sie komplett von mir ab, aber was, wenn dieser Mann für den Zeitpunkt der Tat an Alexia ein hieb- und stichfestes Alibi hat? Dann wenden sie sich wieder anderen Verdächtigen zu. Die müssen nur einmal Leichenspürhunde auf unser Auto ansetzen oder auf unser Haus … Nein. Ich werde vorher weg sein.«
Verzweiflung und Angst stürzten mich fast in Panik. Gegen alle Vernunft hatte ich gehofft, irgendwie mit heiler Haut aus dieser Situation herauszukommen, aber nun begriff ich die Ausweglosigkeit meiner Lage. Ken würde mich nicht am Leben lassen, weil ich der Mensch war, der seine Flucht vereiteln konnte. Er war entschlossen, sich in Sicherheit zu bringen, sich dem Zugriff durch die Polizei zu entziehen.
»Was ist mit den Kindern?«, fragte ich.
»Sie schlafen«, lautete seine gleichmütige Antwort.
Mir stockte der Atem. »Sind sie tot?«
»Sie schlafen, habe ich gesagt!«, fuhr er mich an. Er richtete sich auf. Seine Hose war klatschnass.
»Zeit, diesen Ort zu verlassen«, sagte er. Mit bewundernswerter Geschmeidigkeit bewegte er sich über den schmalen Fels, war mit einem eleganten Sprung auf dem Grat neben mir. Er kannte diese Küste, die Klippen, die Höhlen wie seine Westentasche. Deshalb hatte er auch so lange warten, das Steigen der Flut ruhig verfolgen können. Er wusste genau, wie lange er zögern durfte.
»Leider«, sagte er, »musst du hier unten bleiben.«
In der nächsten Sekunde, jäh und absolut unvorhersehbar, schoss seine Hand auf mich zu. Ich dachte an Alexia. Dieser Mann hatte mit seinen eigenen Händen Schiffe gebaut. Er konnte mit seiner Faust töten.
Ich duckte mich blitzschnell, spürte aber dennoch einen Schlag an meinem linken Wangenknochen.
Dann versank ich in tiefer Finsternis, vielleicht sogar in den Wellen des Meeres; ich wurde verschlungen von Kälte und Dunkelheit und wusste, ich würde sterben.
16
Der Arzt blieb hart. »Mr. Lee wird gerade auf seine OP vorbereitet. Es ist absolut unmöglich, dass Sie mit ihm sprechen!«
»Nur ein paar Worte. Es ist wirklich wichtig«, bat Inspector Morgan. »Das Leben einer Frau könnte davon abhängen.«
»Tut mir leid. Wenn er aus der Narkose erwacht und sich einigermaßen stabilisiert hat, geben wir Ihnen Bescheid. Vorher darf ich nicht zustimmen.«
Morgan, die zusammen mit DS Jenkins in das Morriston Hospital geeilt war, kaum dass sie von Ryan Lees Autounfall und seinem Abtransport im Krankenwagen gehört hatte, nickte resigniert. »Okay, Doktor. Und was ist mit Vivian Cole?«
»Fünf Minuten«, entgegnete der Arzt. »Aber gehen Sie sehr vorsichtig mit ihr um. Sie steht noch immer unter Schock.«
Sie fanden Vivian in einem kleinen Krankenzimmer, wo sie auf dem Bett saß und
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