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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sondern fast schon Abend, und es musste ein rötlich gefärbtes Licht über der Landschaft gelegen haben. Natürlich hatte auch der Ginster nicht geblüht. Alle Farben waren matter gewesen, melancholischer. Herbstlicher.
    Schönheit und Frieden. Das war dieser Ort. Und sicher empfand das auch Matthew gerade – in einer schmerzhaften Diskrepanz zu dem, was tatsächlich geschehen war.
    Ich trat an ihn heran. »Wollen wir ein Stück laufen?«, fragte ich. Bei dem Wort Laufen fing Max sofort an, mit dem Schwanz zu wedeln.
    Matthew erwachte aus seiner Versunkenheit. »Das Auto stand an derselben Stelle wie jetzt auch. Und Vanessa lehnte an der Kühlerhaube, als ich fortging. Das ist das letzte Bild, das ich von ihr habe. Wie sie an dem Auto lehnt. Angestrahlt von der Abendsonne. Sie hatte die Arme verschränkt. Sie war wütend. Sie war froh, dass ich für eine Weile verschwand.«
    Wieder ließ ich meinen Blick schweifen. Ein paar Schritte weiter befanden sich eine kleine Sitzgruppe, ein hölzerner Tisch und zwei Bänke. Ein wunderschöner Ort für ein Picknick, dachte ich. Es gab einen Abfalleimer aus Metall, aber es befand sich, soweit ich das erkennen konnte, kaum etwas darin. Es schienen selten Menschen hierherzukommen. Allerdings entdeckte ich auf dem Asphalt am Rande des Parkplatzes ein offenbar benutztes Kondom, blau, zerknäult. Seltsamerweise empfand ich seinen Anblick fast als Erleichterung. Er holte mich in die Realität zurück. So paradiesisch der Platz anmutete, er wurde auch zu höchst irdischen Zwecken angefahren, und eigentlich war das gut. Es entzauberte den Ort ein wenig und gab ihn der Welt zurück.
    Ich berührte Matthews Arm. »Lass uns laufen«, wiederholte ich.
    Wir nahmen den Pfad, den er und Max auch an jenem Abend genommen hatten. Max jagte in großen Sprüngen vor uns her. Ich konnte feststellen, wie schnell man den Parkplatz aus den Augen verlor. Nur ein paar Schritte, dann kam eine scharfe Kurve, und man meinte, inmitten der völligen Einsamkeit zu sein. Der Pfad wurde von riesigen, wild wuchernden Brombeerhecken gesäumt. Matthew sagte, er habe zwischendurch Beeren gepflückt und gegessen. »Auf dem Rückweg pflückte ich auch ein paar für Vanessa. Aber … ich konnte sie ihr nicht mehr geben.«
    Ich erkannte, wie schnell man sich auch von der Straße entfernte. Sollte jemand während Matthews Abwesenheit die Landstraße entlanggekommen und auf den Parkplatz eingebogen sein, so war es von hier unten aus sicher unmöglich, etwas davon mitzubekommen. Vielleicht würde man ganz leise das Brummen eines Automotors hören, aber wer würde dem überhaupt Beachtung schenken? Wahrscheinlich hätte man hinterher nicht sagen können, ob da etwas gewesen war oder nicht.
    Und umgekehrt: Ein möglicher Entführer oder Killer, der Vanessa auf dem Parkplatz antraf, musste sie für den einzigen Menschen weit und breit halten. Ohne den geringsten Hinweis darauf, dass ihr Mann und ihr Hund gar nicht weit weg waren. Sie hatte sich als Opfer geradezu angeboten.
    Aber warum?
    Und war es überhaupt so gewesen? Oder ganz anders?
    Als wir etwa eine Viertelstunde gelaufen waren, kamen wir an eine steinerne Mauer, die recht hoch und noch ziemlich intakt war. Man hätte entweder darüberklettern oder ein ganzes Stück an ihr entlanggehen müssen, um einen Durchgang, der aus wenigen herausgebrochenen Steinen bestand, zu erreichen. Matthew blieb stehen.
    »Hier sind wir umgekehrt«, sagte er. »Zum Glück. Endlich. Ich hatte nicht auf die Zeit geachtet, und wahrscheinlich wäre ich noch weitergelaufen, wenn mich nicht diese Mauer zum Innehalten gezwungen hätte. Ich merkte, wie lange ich schon unterwegs war, und dachte, dass Vanessa nun wahrscheinlich noch verärgerter sein würde. Auf dem Rückweg lief ich schneller als auf dem Hinweg.«
    Er wandte sich um.
    »Wir könnten doch noch ein bisschen weiterlaufen«, meinte ich. »Es ist eine wunderschöne Gegend, das Wetter ist herrlich. Komm, wir …«
    »Nein«, sagte er kurz, und ohne einen weiteren Kommentar von mir abzuwarten, trat er den Rückweg an – in einer deutlich zügigeren Gangart als zuvor. Es war klar, er wiederholte jenen Tag, er durchlebte ihn, er durchlief noch einmal das ganze Programm von damals. Er war eigentlich gar nicht mit mir zusammen hier. Ich erfüllte bloß eine Funktion, war der Ansprechpartner und damit wahrscheinlich eine Art Katalysator seiner Gedanken und Empfindungen. Mehr nicht.
    Wir schwiegen, bis wir den Parkplatz wieder erreichten.

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