Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
ausfalle.«
Ich wusste. Healthcare war Teil eines großen Zeitschriftenverlages, der sich – was heutzutage selten geworden war – noch immer im persönlichen Besitz einer Familie befand und nicht Teil eines Konzerns war. Der Boss, Ronald Argilan, den ich nur von Bildern her kannte und als einen ausgesprochen unangenehmen Typen empfand, liebte es, die verschiedenen Chefredakteure seiner Zeitungen und Zeitschriften in regelmäßigen Abständen nach London zu zitieren, um sich ausführlich über den Stand der Dinge zu informieren. Diese Zusammenkünfte stellten eine Art Examinierung dar, in deren Verlauf er einzelne Mitarbeiter auch gerne vor den anderen herunterputzte, bloßstellte oder sogar lächerlich machte. Auf Alexia hatte er es, wie sie mir einmal berichtet hatte, besonders abgesehen. Healthcare wurde landesweit in vier regional unterschiedlichen Ausgaben produziert, und Alexia war nur deshalb ein Jahr zuvor Chefredakteurin für den Bereich Wales geworden, weil die Stelle plötzlich frei war und sich niemand fand, der masochistisch genug veranlagt gewesen wäre, sie haben zu wollen.
»Der Alte meint aber eigentlich, dass Frauen nicht in Führungspositionen gehören«, hatte sie gesagt. »Und im Grunde wartet er nur darauf, dass ich scheitere. Aber den Gefallen werde ich ihm natürlich nicht tun.«
Also rieb sie sich auf, reiste regelmäßig zitternd nach London, um sich wieder fertigmachen zu lassen, opferte ein halbwegs geregeltes oder normales Familienleben … Ich fragte mich, ob ich das getan hätte. Aus Ehrgeiz? Und um einen alten, querköpfigen Mann bloß nicht gewinnen zu lassen?
»Aber nun zu dir«, sagte sie. »Wie geht’s mit Matthew?«
Ich seufzte. »Du siehst es ja. Wir überlegen, was aus Vanessa geworden ist. Es ist nicht gerade romantisch.«
Alexia runzelte die Stirn. »Du schaffst es gar nicht, ihn auf andere Themen zu lenken?«
»Schon. Wir haben Filme zusammen angeschaut, uns über misslungene Theateraufführungen aufgeregt, wir haben mit Max gespielt und über Politik diskutiert. Aber am Ende … landen wir immer wieder bei Vanessa.«
»Und wenn ihr im Bett seid?«
Ich gestand es nicht gerne. »Wir waren noch nie zusammen im Bett.«
»Nein?« Alexia schien ziemlich schockiert, und richtigerweise ging sie sofort davon aus, dass nicht ich es war, die uns in die Enthaltsamkeit zwang. »Aber … Ich meine, du bist eine junge, sehr attraktive Frau. Es kann doch gar nicht sein, dass er noch nie auf die Idee kam … Ich kann mir kaum einen Mann vorstellen, der in deiner Gegenwart überhaupt an etwas anderes als an Sex denkt!«
Das war natürlich eine typische maßlose Alexia-Übertreibung. Aber ich erinnerte mich an jene erste Verabredung. Das Pub am Meer. Später der einsame Strand, die dunklen Wellen, Max, der vor uns hersprang. Wir beide in Matthews Auto, jeder sich der Nähe des anderen so bewusst.
»Ich glaube, er kam schon auf die Idee , wie du es ausdrückst«, sagte ich. »Und vielleicht denkt er überhaupt öfter daran, als ich weiß. Aber gleichzeitig sind solche Gedanken genau das Problem. Sie lösen Schuldgefühle in Matthew aus. Er will Vanessa nicht verlassen. Er will sie vor allem nicht im Stich lassen . Aber genau das meint er zu tun, wenn er eine neue Beziehung eingeht.«
»Aber Vanessa kommt nicht zurück«, sagte Alexia. »Und, so schrecklich es ist, ihr Schicksal wird sich auch nicht aufklären lassen. Entweder sie ist einem Verbrechen zum Opfer gefallen, dann hat es der Täter so geschickt angefangen, dass man sie nie gefunden hat und nun auch nicht mehr finden wird. Oder sie ist absichtlich untergetaucht, und dann will sie ganz offenbar um keinen Preis je wieder entdeckt werden. Vielleicht lebt sie am anderen Ende der Welt.«
»Warum sollte sie davongelaufen sein? Du warst mit ihr befreundet. Warum?«
Alexia zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Glaub mir, ich habe mir wieder und wieder den Kopf zerbrochen. Ich finde keine Antwort, und deshalb habe ich irgendwann aufgehört, darüber nachzudenken. Es hat keinen Sinn. Man muss nach vorn schauen.«
»Sicher. Ich glaube, dass Matthew das auch weiß. Aber er kann es nicht umsetzen.«
»Lass ihn nicht fallen«, bat Alexia. »Du bist vielleicht die Einzige, die ihm helfen kann. So nah wie dich hat er seit jenem Tag noch niemanden wieder an sich herangelassen. Vielleicht gelingt dir der Durchbruch. Seht ihr euch jetzt am Wochenende?«
Ich nickte, musste dabei aber ein so bedrücktes Gesicht gemacht haben, dass
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