Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Alexia nichts Gutes schwante. »Ihr habt nicht gerade irgendetwas besonders Prickelndes vor, oder?«
»Kann man nicht sagen. Er hat mich gebeten, dass ich mit ihm … Er möchte zu dem Rastplatz fahren, von dem Vanessa verschwunden ist. Er möchte, dass ich den Ort kennenlerne.«
»Ach, du lieber Himmel. Wozu das denn?«
»Ich glaube, ihn zieht es einfach dorthin. Und er will dort nicht allein sein.«
»Jenna!« Alexia kam um meinen Schreibtisch herum und sah mich an. »Jenna, mach ihm klar, dass du dieses Spiel nicht ewig mitmachst. Er findet nie aus diesem Sumpf heraus, wenn du ihn einfach nur gewähren lässt!«
»Ich denke, ich soll ihn nicht fallen lassen. Wenn ich ihm sage, dass ich mit ihm nicht mehr über Vanessa rede, ist das das Ende. So liegen die Dinge, Alexia. Ganz einfach.«
»Eine wirklich schwierige Situation«, gab Alexia zu. »Hoffentlich stellt sich am Ende nicht heraus, dass ich dich unglücklich gemacht habe. Immerhin bin ich nicht ganz unschuldig daran, dass ihr euch begegnet seid.«
Das war sie in der Tat nicht, und ich überlegte manchmal, ob ich es nicht eigentlich bereute, an jenem Abend zu dem Essen bei Alexia und Ken gegangen zu sein. Aber so richtig wollte das mit der Reue nicht gelingen. Dafür mochte ich Matthew zu sehr. Dafür setzte ich auch immer noch zu viel Hoffnung in uns.
»Meldet sich unser Liebling Garrett noch?«, fragte Alexia, ehe ich hatte antworten können.
»Er ist wieder in der Versenkung verschwunden«, sagte ich. »Hab lange nichts mehr gehört.«
Es war wirklich wie verhext. Garrett hatte an den beiden Abenden angerufen, an denen ich Matthew gefühlsmäßig wirklich nähergekommen war. Seitdem unsere Beziehung, falls man das, was uns verband, überhaupt so nennen wollte, total auf der Stelle trat, hatte der gute Garrett kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Als ob er es wirklich spürte. Er mischte sich ein, wenn ich ihm endgültig zu entgleiten drohte, und er zog sich zurück, wenn in meinem Leben wieder alles stagnierte. Im Grunde seine alten Machtspiele.
»Jedenfalls«, sagte ich, »fahre ich am Samstag mit Matthew los und schaue mir den Ort an, der zum Zentrum seines Traumas geworden ist. Immerhin soll das Wetter wunderbar werden, und vielleicht wird es netter als gedacht.«
Alexia sah nicht so aus, als glaubte sie das auch, aber sie wollte mir wohl das Herz nicht schwermachen, also hielt sie den Kommentar, der ihr deutlich auf der Zunge lag, zurück.
Stattdessen sagte sie: »Wenn du noch den Kopf dafür frei hast, sammle doch schon mal ein paar Eindrücke. Ich plane eine Fotoreportage über die Gegend. Wie Sie sich im Sommer fit für den Herbst machen oder etwas in dieser Art. Ich will Wanderwege vorstellen, zum Walken und Fahrradfahren ermuntern und so weiter. Der Coast Park ist dafür ideal geeignet.«
»In Ordnung.« Ich nickte. Das war keine schlechte Idee, und vielleicht konnte ich mit Matthew über das Projekt reden, wenn er in Traurigkeit und Selbstvorwürfen versank. Das würde ihn hoffentlich ein wenig ablenken.
2
Eines konnte ich jedenfalls verstehen, als wir den Rastplatz erreicht hatten, von dem Vanessa verschwunden war: Matthews vollkommene Fassungslosigkeit. Der Ort war so idyllisch, und doch musste hier etwas Schlimmes geschehen sein. An diesem warmen, sonnigen Apriltag lagen die üppigen grünen Wiesen, die in sattem Gelb leuchtenden Ginsterbüsche, die sanft ansteigenden Hügel wie ein kleines Paradies vor mir. Es fiel schwer, sich hier die Existenz des Bösen vorzustellen, ja, es erschien nahezu unmöglich. Ich betrachtete die moosbewachsene, bröckelige Steinmauer, die am Rande des flachen, unterhalb des Rastplatzes gelegenen Tals verlief. Sie stellte nur den alten, verfallenen Rest von etwas dar, das hier einmal gewesen war, eine eingezäunte Weide, auf der sich Schafe tummelten. So viel Zeit war darüber vergangen, einerseits. Andererseits schien auch gerade hier die Zeit einfach stehen geblieben. Dieses Tal war immer gewesen, würde immer sein.
Und doch hatte hier ein Alptraum seinen Anfang genommen.
Ich sah mich nach Matthew um. Er stand ein Stück entfernt von mir, ganz in Gedanken versunken. Neben ihm saß Max und blickte erwartungsvoll zu ihm hoch. Ihm war nach einem schönen, langen Spaziergang zumute, aber sein Herrchen merkte das im Moment nicht. Ich vermutete, er war an jenen Augusttag zurückgekehrt. Die Sonne hatte von einem wolkenlosen Himmel geschienen, genau wie heute, aber es war nicht Mittag gewesen,
Weitere Kostenlose Bücher