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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Und er würde nie aufhören können. Er würde sich nie die Erlaubnis geben, aufzuhören.
    Wenn ich eine Beziehung mit ihm wollte, eine glückliche, ausgeglichene Beziehung, die auch eine Zukunft hatte, dann mussten wir herausfinden, was mit Vanessa geschehen war.
    Ich vernachlässigte meine Arbeit in der Redaktion und nutzte unbeobachtete Momente, um im Internet nach dem Fall Vanessa Willard zu forschen. Das Ergebnis fiel ernüchternd, eigentlich deprimierend aus. Es hatte sich nie auch nur die kleinste ernst zu nehmende Spur ergeben. Hinweise, die eingegangen waren, hatten jedes Mal ins Nichts geführt. Der Fall war sogar bei Crime Watch nachgestellt und landesweit ausgestrahlt worden, und nicht einmal daraus hatte sich etwas Konkretes entwickelt.
    Ich fand eine Menge Fotos von Vanessa im Netz. Sie war eine gut aussehende Frau mit einem intelligenten, wachen Gesicht. Ich betrachtete sie intensiv, konnte aber in ihren Zügen nichts erkennen, was auf eine Depression oder gar auf eine Psychose hindeutete. Sie sah auch nicht unglücklich aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie abgehauen war, weil sie in ihrem Leben verzweifelt und hoffnungslos gewesen war oder keine Perspektive mehr gesehen hatte.
    Da ich so viel Zeit mit Matthew – und mit Vanessa – verbrachte, entgingen mir andere Dinge, die sich in meiner Nähe abspielten. Eines Morgens, als ich in der Redaktion saß und wieder einmal die Homepage von Missing People aufgerufen hatte, erschien plötzlich Alexia hinter mir. Ich konnte nicht schnell genug wegklicken, und so sah sie Vanessas Bild, das ich gerade eindringlich betrachtet hatte. Aber auch ich sah etwas, als ich mich umdrehte: Alexia schien es gar nicht gut zu gehen. Sie wirkte müde und sorgenvoll.
    »Alexia …«
    »Guten Morgen, Jenna«, sagte sie und klang dabei etwas zerstreut. »Ich sehe, Matthew bindet dich schon ganz in das Projekt Vanessa ein.«
    Mir ging in diesem Moment auf, dass sie sich schon seit einiger Zeit gar nicht mehr nach dem Stand unserer Beziehung erkundigt hatte, und das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Ich klickte Vanessa und Missing People weg und richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf sie.
    »Was ist los, Alexia?«, fragte ich. »Du siehst ziemlich fertig aus, und nicht einmal meine Männergeschichten scheinen dich noch zu interessieren.«
    »Unsere Nanny hat gekündigt«, sagte Alexia. »Vor zehn Tagen.«
    »Vor zehn Tagen schon? Warum sagst du denn nichts?«
    »Warum soll ich dich damit belasten? Außerdem kannst du ja auch nichts machen. Im Moment geht es ziemlich drunter und drüber bei uns.«
    »Das kann ich mir denken. Ihr müsst sehen, dass ihr schnell wieder jemanden findet.«
    »Das ist nicht so einfach. Ich habe mich schon bemüht, aber alle, die ich gefunden habe, sind zu teuer. Am besten wäre ein Au-pair-Mädchen aus dem Ausland, aber die müsste bei uns wohnen, und wo, um Himmels willen, sollten wir sie noch unterbringen?«
    Das traf in der Tat zu. Das Haus platzte schon jetzt aus allen Nähten. Es wurde mir schwindelig allein bei der Vorstellung, dort könnte noch ein weiterer Mensch einziehen.
    »Ken ist ziemlich überfordert«, fuhr Alexia bedrückt fort. »Er kann es jetzt natürlich völlig vergessen, auch nur eine Zeile an dem Buch zu schreiben. Er rotiert nicht nur um Siana, sondern auch um Evan, der wieder einmal den Kindergarten boykottiert. Die beiden Großen sind ja zum Glück schon in der Schule, aber trotzdem … Sowie sie heimkommen, bricht das Chaos dann endgültig aus.«
    Ich sah es förmlich vor mir. Ken in der überf üllten Küche, die brüllende Siana auf dem Arm, drei weitere sich streitende, quengelnde, fordernde Kinder um sich herum, eines hatte sich das Knie aufgeschlagen, ein anderes war in den Matsch gefallen, jedes verlangte nach etwas zu essen und zu trinken, auf dem Herd brutzelte etwas, wovon mindestens zwei Kinder behaupteten, es nicht essen zu können … Ken war ein so leidenschaftlicher Vater, dass er weder die Geduld verlieren noch einen Nervenzusammenbruch erleiden würde, aber ganz offenbar geriet auch er gerade an seine Grenzen, und Alexia, von morgens bis abends in der Redaktion eingespannt, malte sich vermutlich ständig aus, was gerade alles daheim passierte. Deshalb wirkte sie so gestresst und irgendwie zerrissen.
    »Und dann muss ich auch noch nächste Woche nach London«, erklärte sie. »Das furchtbar wichtige Meeting, du weißt ja. Das sind mindestens drei Tage, in denen ich dann zu Hause komplett

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