Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
des Regens kam sie langsamer voran als sonst. Sie erreichte die A169, die durch das einsame Gebiet der Hochmoore hindurch direkt nach Whitby führte, das unmittelbar am Meer lag. Auf der Straße war zu dieser frühen Stunde kaum etwas los. Corinne war gern so zeitig wie möglich in der Praxis. Sie konnte sich dann einen schönen Kaffee kochen und in Ruhe die Dinge erledigen, die anstanden, sich vor allem aber um die Abrechnungen kümmern. Später kam man dann kaum noch dazu. Es arbeiteten drei Ärzte in der Praxis, und ab neun Uhr ging es dort zu wie im Taubenschlag.
Es war etwa zwanzig nach sieben, als Corinne an den Halteplatz kam, der sich weit im Inneren der Moore befand. Es handelte sich keineswegs um eine echte Parkmöglichkeit, sondern nur um eine Ausbuchtung am Straßenrand, von der ein holpriger Feldweg zu einem Weidegatter führte und dort endete. Corinne fuhr an die Seite, hielt an und schaltete den Motor aus. Sie schaute auf ihre Uhr. Sie waren für Viertel nach sieben verabredet gewesen, aber natürlich war wieder einmal weit und breit keine Spur von Celina zu sehen. Es war jeden Tag dasselbe, und bei schlechtem Wetter war es noch schlimmer. Celina fand nicht aus dem Bett, und ihre Mutter, die einen ziemlich faulen Ehemann und fünf weitere Kinder zu versorgen hatte, schaffte es nicht, ihre Tochter zur Pünktlichkeit anzuhalten. Celina war siebzehn und hatte in Whitby eine Lehrstelle als Zimmermädchen in einem Hotel gefunden. Da sie und ihre Familie auf einer der völlig abgelegenen Farmen inmitten der Hochmoore wohnten, war es ein Problem für sie, jeden Tag in die Stadt zu kommen, und ihre Mutter, die noch die anderen Kinder in die verschiedenen Schulen oder zumindest bis an die Bushaltestellen bringen musste, schaffte es nicht, sie zu fahren. Sie war als Patientin in der Praxis gewesen, in der Corinne arbeitete, und hatte ihr Leid geklagt. Corinne hatte spontan ihre Hilfe angeboten.
»Ich fahre jeden Morgen nach Whitby. Ich könnte Celina mitnehmen.«
Sie hatten einen Treffpunkt vereinbart. Der Feldweg, zu dem Celina von ihrer Mutter gebracht werden sollte. Und sie hatten eine Uhrzeit abgesprochen. Die nicht an einem einzigen Tag bislang eingehalten worden war.
Corinne war verärgert. Es war ohnehin ein höchst begrenztes Vergnügen, zumindest die halbe Strecke zu ihrer Arbeit täglich mit einem missmutigen und einsilbigen Teenager zurücklegen zu müssen, aber dann auch noch jedes Mal zu warten, ohne dafür je eine Entschuldigung zu erhalten, ging einfach zu weit. Sie hatte bis heute nur mitgespielt, weil ihr Celinas restlos überforderte Mutter leidtat, aber an diesem Morgen beschloss sie, dass es mit ihrer Geduld nun ein Ende haben musste. Entweder Celina kam pünktlich, oder sie konnte sich einen anderen Dummen suchen.
Fröstelnd zog sie ihren Mantel enger um sich und presste sich in den Sitz. War es jemals Ende April so kalt gewesen? Und wie dunkel es heute war, viel dunkler als sonst. Das lag an den tief hängenden Wolken und dem unermüdlich rauschenden Regen. Sie schaute aus dem Seitenfenster. Die eintönige Hochebene. Nasses Heidekraut, Gräser und Farn. Weidezäune. Ein paar Hügel in der Ferne. Der Regen schien noch stärker zu werden.
Corinne ließ die Scheibenwischer laufen, und sie wischten sofort eine Art Sturzwelle platschend zur Seite. Kaum hatte sie sie wieder abgeschaltet, war die Scheibe erneut undurchdringlich nass. Es half nichts, heute half einfach gar nichts.
Sie bemerkte im Rückspiegel Scheinwerfer, die sich näherten, und setzte sich aufrecht hin. Endlich! Zehn Minuten zu spät. Sie würde Celina heute sagen, was sie von ihr und ihrer gesamten Lebenseinstellung hielt, auch wenn das Mädchen dann noch unfreundlicher sein würde als sonst. Es konnte ihr egal sein. Es war ohnehin das letzte Mal.
Das Auto wurde langsamer, rollte auf den Seitenstreifen und kam zum Stehen. Corinne ließ den Scheibenwischer über die Heckscheibe laufen und runzelte die Stirn. Sie hatte den altersschwachen Jeep erwartet, den Celinas Mutter fuhr, aber es war ein ganz anderes Auto, das nun hinter ihr gehalten hatte. Ein großer Ford, wenn sie das richtig erkannte. Nur als Umriss gewahrte sie zwei Gestalten hinter der Frontscheibe.
Celina und ihre Mutter?
Oder wurde sie heute von ihrem Vater gebracht, der vielleicht ein anderes Auto fuhr? Das war allerdings noch nie vorgekommen, und zudem erschien ihr der Wagen als zu groß und zu teuer für die Verhältnisse dieser Familie. Sie wusste, dass
Weitere Kostenlose Bücher