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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Als sie ihn nach seiner Entlassung bei sich aufgenommen hatte, war er noch sicher, dies geschehe äußerstenfalls aus Freundschaft, eigentlich aber vor allem aus ihrem sozialen Engagement heraus. Erst nach und nach hatte er während der vergangenen Wochen begriffen, dass sie ihm ganz gezielt geschrieben, ihn gezielt besucht, ihn gezielt bei sich einquartiert hatte. Und heute Abend gab es keinen Zweifel mehr: Er fungierte ganz offiziell als ihr Freund. Ihr Lebensgefährte. Und deshalb hatte er auch unbedingt mitkommen müssen. Er war eine Trophäe, die sie herumzeigen wollte.
    Eigentlich müsste ich sauer sein, dachte er. Er war es jedoch nicht. Das lag an Noras Strahlen. Er schaffte es nicht, einer Frau böse zu sein, die so erleichtert und glücklich wirkte, nur weil sie ihn an ihrer Seite hatte.
    Er überlegte gerade, ob es ihm gelingen konnte, sich irgendwie den Weg in die Küche zu bahnen und an ein kaltes Bier zu kommen, da wurde er, zum ersten Mal, seitdem er hier war, angesprochen. Der Typ hatte ungefähr sein Alter, trug Jeans und ein Poloshirt und wirkte ziemlich verhärmt.
    »Hallo! Ich bin Harry Vince.«
    »Ryan Lee«, sagte Ryan.
    »Hallo, Ryan. Du bist der Neue von Nora, stimmt’s?«
    »Äh, ich …«, druckste Ryan, aber zum Glück redete Harry schon weiter. »Ich war früher mal ein Kollege von Nora. Am South Pembrokeshire Hospital . Vor einem Jahr habe ich mich selbstständig gemacht. Eigene physiotherapeutische Praxis. Drüben in Swansea.«
    »Glückwunsch«, sagte Ryan, weil ihm nichts anderes einfiel.
    »Ganz schön anstrengend«, gestand Harry. »Bis so eine Praxis sich mal rentiert. Man hat immer nur Ausgaben, und … na ja, leben muss man ja auch noch …«
    Ryan fiel auf, dass Harrys Hände, die ebenfalls ein Bierglas umklammert hielten, ganz leicht zitterten. Auch wirkte er übernächtigt und so, als esse er zu wenig und komme nie an die frische Luft.
    Er kämpft um seine Existenz, dachte Ryan, hat sich selbstst ändig gemacht, und die Kiste läuft nun nicht so richtig.
    Harry zog eine Karte aus seiner Hosentasche und reichte sie Ryan. »Hier. Wenn du mal irgendein Problem hast … Ich meine, du sitzt zwar bei Nora an der Quelle, aber die hängt ja total in ihren Dienstplänen fest, und wenn es mal schnell gehen soll …« Er sah ihn so hoffnungsvoll an, als erwarte er, Ryan werde nun gleich erklären, auf jemanden wie ihn habe er schon lange gewartet. Aber schließlich, das konnte schneller gehen als gedacht. Ryan wusste, dass er in der Ruhe vor dem Sturm lebte und dass möglicherweise Debbie schon ein Vorbote des Orkans war. Damon würde zuschlagen. Man wusste nicht, wann, wo und wie, aber es würde böse, perfide und sadistisch sein. Damon war über zwei Jahre lang zur Untätigkeit verurteilt gewesen, weil sein Opfer im Knast saß. Er würde sich auf besonders grausame Art austoben. Wenn er mit ihm fertig war, brauchte Ryan vielleicht überhaupt niemanden mehr. Vielleicht aber auch gerade einen Physiotherapeuten. Weil dann wahrscheinlich nicht ein Knochen in seinem Körper mehr an der richtigen Stelle saß.
    »Danke«, sagte er und schob die Karte in seine Jeanstasche. »Klar, ich melde mich, wenn ich mal jemanden brauche.«
    Er sah, dass Nora ins Zimmer kam und sich suchend umblickte. Sie hatte eine attraktive schwarzhaarige Frau im Schlepptau, die ebenfalls aussah, als halte sie nach jemandem Ausschau.
    Nach mir vermutlich, dachte Ryan. Die Schwarzhaarige ist eine Freundin von ihr, und ich soll jetzt vorgestellt werden.
    Er fühlte sich immer elender. Am liebsten wäre er hinaus in den nassen Garten gesprintet und weggelaufen, so schnell er konnte. Aber abgesehen davon, dass dies wieder zu einer Kontroverse mit Nora geführt hätte, war es auch rein technisch nicht möglich: Die Menschen um ihn herum standen wie eine Mauer und besonders dicht an der Terrassentür, weil man dort am besten Luft bekam. Zumindest an ein rasches Durchkommen war nicht einmal zu denken.
    Nora hatte ihn erblickt und bahnte sich entschlossen den Weg zu ihm, immer noch gefolgt von der anderen Frau. Sie kamen bei ihm an, als Harry gerade fragte: »Und du? Arbeitest du auch im Krankenhaus?«
    »Nein«, sagte Ryan. Er beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn sie nicht ausgesprochen ehrenvoll war. »Ich arbeite in einem Copyshop.«
    »Coffeeshop?«, fragte Harry zurück.
    »Ryan, ich möchte dir meine Freundin Vivian vorstellen«, sagte Nora. »Vivian, das ist Ryan Lee. Ryan, das ist Vivian

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