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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Fresse, okay?«
    Sie schluckte krampfhaft, nickte eingeschüchtert. Sie würde nichts mehr sagen, denn sie zweifelte keine Sekunde, dass er seine Drohung wahr machen und ihr seine Faust ins Gesicht schmettern würde. Sie schaute zum Fenster hinaus. Sie fuhren noch immer auf der A169 in Richtung Whitby.
    Wohin bloß? Und warum, warum, warum?
    Sie begann zu weinen.
    Sie war an einem ganz gewöhnlichen Morgen in einen Alptraum geraten und hatte nicht die geringste Ahnung, was eigentlich mit ihr passierte.
    4
    Ryan wünschte, er hätte sich nicht von Nora überreden lassen, sie zu dem Fest zu begleiten. Eine Kollegin von ihr hatte Geburtstag und veranstaltete eine Party in ihrem Haus drüben in Pembroke. Bei dem Haus handelte es sich um eine ehemalige kleine Scheune, die die Kollegin und ihr Mann in offenbar jahrelanger Arbeit umgebaut hatten. Sie waren ungeheuer stolz darauf, aber Ryan fand die unebenen Fußböden, die schiefen Wände und die winzigen Fenster nicht allzu gelungen. Es waren an die fünfzig Gäste eingeladen , viel zu viele für die nachträglich eingezogenen engen, niedrigen Räume. Es hatte den ganzen Tag über geregnet, aber am späten Nachmittag hatte es aufgehört, und schließlich ließ sich sogar die Sonne blicken. Im Esszimmer standen die Türen zum Garten weit offen, aber da Gras und Büsche noch triefend nass waren und auf der dilettantisch gefliesten Terrasse das Wasser in tiefen Pfützen stand, zog es niemanden nach draußen. Man stand in drangvoller Enge wie die buchstäblichen Ölsardinen aneinandergepresst in den Zimmern. Ryan hörte allerdings ständig, wie die anderen einander versicherten, dass sie es toll fanden, gemütlich, intim, kuschelig und was noch alles. Und jeder kannte jeden. Ryan kannte naturgemäß niemanden.
    Nora hatte so lange gebettelt, er möge mitkommen, bis er sich hatte breitschlagen lassen, aber eigentlich hatte er irgendwann nur deshalb zugestimmt, damit sie endlich mit diesem Thema aufhörte. Ihm stand der Sinn nicht im Geringsten nach einem geselligen Beisammensein, schon gar nicht nach einem im Kreise von Noras Freunden. Er wäre an diesem Freitagabend viel lieber nach Swansea gefahren und hätte Debbie besucht. Er machte sich große Sorgen um sie, weil es ihr nicht gelang, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Sie war noch immer krankgeschrieben, saß den ganzen Tag in ihrer Wohnung und ging höchstens einmal zu Tesco hinüber, um einzukaufen; sie beeilte sich dann jedoch, möglichst schnell wieder daheim zu sein und die Wohnungstür hinter sich zu verschließen und zu verriegeln. Sie schien die Welt draußen als gefährlich und feindselig zu empfinden, was kaum verwunderlich war. Ryan hätte so gern etwas für sie gekocht und sie dann zu einem kleinen Sp aziergang überredet. Stattdessen stand er nun inmitten dieser Menschen, die er unsympathisch und laut fand, und hielt sich an einem Bierglas fest, dessen Inhalt inzwischen lauwarm geworden war. Nora war verschwunden. Sie hatte vorher versprochen, auf jeden Fall an seiner Seite zu bleiben, aber schließlich waren sie im Gewühl getrennt worden und hatten einander bislang nicht wiedergefunden. Nora hatte gestrahlt, als sie das Haus der Kollegin betreten hatten, mehr noch, sie hatte geradezu geglüht vor Stolz und Glück. Er hatte endgültig das ganze Ausmaß der Bedeutung begriffen, die er für sie hatte. Sie sah in ihm nicht nur einen emotionalen Bezugspunkt in ihrem Alltag, den Menschen, der da war, wenn sie nach Hause kam, den sie umsorgen und bemuttern konnte. Er war auch ein Statussymbol für sie . Nora hatte unter ihrem Singledasein zunehmend gelitten, und zwar besonders unter dem Ansehen, das in ihren Augen damit einherging. Die Frau, die keinen abbekam … Wahrscheinlich hatte sie die mitleidigen Fragen und die guten Ratschläge gehasst, mit denen man ihr begegnet war. Sie war in dem Alter, in dem man sich um sie herum verlobte, heiratete oder sogar schon die ersten Babys bekam. Ryan hatte allein an diesem Abend nicht weniger als drei schwangere Frauen gesehen, die ihre dicken Bäuche erstaunlich unbek ümmert durch das gnadenlose Gedrängel trugen. Er wusste, dass sich Nora nach Ehe und Kindern sehnte. Es war während ihrer langen Gespräche herausgekommen, die sie geführt hatten, als sie ihn noch regelmäßig im Gefängnis besuchte. Seltsamerweise war ihm dabei nie der Gedanke gekommen, dass sie ihm einen Wink mit dem Zaunpfahl gab, dass sie ihn als Erfüllungsgehilfen ihrer Wünsche anpeilte.

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