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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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unvollständiges Gebiss. Er roch sauer, was sicher auf mangelhafte Ernährung zurückzuführen war – Tara kannte diesen Geruch von den Wintern nach einer schlechten Ernte. Er wirkte krank, doch Tara erinnerte sich an die Leichtigkeit, mit der er die brusthohe Stufe erklommen hatte. Nein, der Sadhu war nicht krank.
    In diesem Moment ließ er von dem Hund ab und wandte sich an Tara. »Du bist neu in der Stadt«, stellte er fest. Sein Nepalesisch, obwohl fehlerfrei, hatte einen starken Akzent, aus dem Tara den Singsang heraushörte, mit dem er den Hund betört hatte. »Sonst wüsstest du, dass dies mein Platz ist.«
    Tara erschrak. »Ich werde sofort gehen«, stotterte sie, fühlte sich aber außerstande, ihr Vorhaben auszuführen. Der Blick des Mannes lähmte sie.
    »Bleib ruhig hier«, antwortete er und kramte in seiner Umhängetasche, deren Inhalt offensichtlich seinen gesamten Besitz darstellte. Tara wunderte es nicht, wählten die Wanderasketen doch ein Leben der Entsagung und Besitzlosigkeit. Mit einem erleichterten Seufzer zog der Mann schließlich einen kleinen Beutel hervor, entnahm ihm eine Haschischzigarette, klemmte sie zwischen die Lippen und zündete sie umständlich an. Auch dies war für Tara normal. Viele Sadhus erlangten Erkenntnisse im Rausch, und auch in ihrem Dorf rauchten die älteren Leute häufig die getrockneten Blätter des Hanfs aus ihren Gärten.
    »Woher kommst du?«, fragte der Sadhu und blies mit zurückgelegtem Kopf eine Rauchwolke in die Luft. »Was ist dein Auftrag?«
    »Ich habe keinen Auftrag«, sagte Tara und schüttelte sich in einem vergeblichen Versuch, den Bann zu lösen.
    »Natürlich hast du einen Auftrag. Ich kann es an deiner Aura erkennen. Auch der Hund hat mir davon erzählt.«
    »Der Hund hat Ihnen etwas erzählt?«, fragte Tara skeptisch. Entweder war der Mann tatsächlich ein Zauberer, oder verrückt. »Niemand kann mit Hunden sprechen.«
    Der Sadhu zuckte die Schultern. »Der heilige Franziskus hat es mir beigebracht.« Seine Miene nahm einen entrückten Ausdruck an. »Damals, in Assisi …«
    Tara wartete auf eine Erklärung, wo dieses Assisi sei. Auch der heilige Franziskus war ihr unbekannt. Der Priester hatte ihn nie erwähnt, und sie hätte gern gewusst, wessen Inkarnation er war und wie es sein konnte, dass er sein Wissen mit einem Sterblichen teilte. Leider zog sich der Sadhu jetzt völlig zurück und geriet in einen tranceähnlichen Zustand. Satzfetzen in vielen Sprachen verließen seinen Mund. Tara graute es. Sie sprang auf, zog den widerstrebenden Hund am Nackenfell mit sich und suchte das Weite.

[home]
37
    A n ihrem dritten Morgen in Kathmandu stand Anna früh auf und brach, mit einem Stadtplan bewaffnet, zu einer Wanderung auf. Ihr Ziel war der große Stupa von Bodhnath in einem nordöstlich der Stadt gelegenen Ort. Nach anderthalb Stunden Marsch durch die neueren Viertel von Kathmandu erreichte sie schließlich Pashupatinath, wo die hinduistischen Nepalesen ihre Toten verbrannten. Anna fühlte sich der Konfrontation mit dem Tod nicht gewachsen und umrundete die in einem Flusstal gelegene Tempelanlage, erklomm einen niedrigen Hügel und fand sich kurz darauf am Stadtrand wieder. Vor ihr erstreckten sich staubige Felder, und in etwa zwei Kilometern Entfernung konnte sie einen ersten Blick auf die goldene Spitze des Stupas erhaschen. Da der Marsch in der prallen Sonne sie ins Schwitzen gebracht hatte, kaufte sie sich in einem kleinen Laden eine Flasche Wasser und setzte sich im Schatten des Hauses auf eine Mauer. Neugierige Kinder umdrängten sie, und sie beantwortete geduldig ihre Fragen, bis den Kindern ihr mageres Englisch ausging und sie sich wieder ihrem Spiel widmeten. Anna blieb auf der Mauer sitzen und dachte über die letzten Tage nach.
    Ihre Begeisterung für Kathmandu und seine Bewohner war nicht abgeebbt, im Gegenteil. Die Stadt tat ihr gut. Gern hätte sie die neuen Eindrücke mit Kim geteilt, doch gleichzeitig war sie stolz auf ihre Fortschritte. Niemals hätte sie sich zugetraut, in einem so fremden Land allein zurechtzukommen, und jetzt zwängte sie sich bereits ganz selbstverständlich zu den Einheimischen in die lokalen Sammeltaxis, handelte mit Vergnügen um jeden Apfel und hatte sich sogar schon in ein etwas schmuddelig aussehendes Restaurant getraut, wo sie befriedigt feststellte, dass sich auch ihr Gaumen den Umständen anpasste. Das vor wenigen Tagen noch viel zu scharfe Curry hatte ihr ausgezeichnet geschmeckt. Die fremde Welt

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