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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Sylvain ins Taumeln. Mit einem wütenden Ausruf griff er nach Moon und bekam seinen Ärmel zu fassen, aber der Nepalese schüttelte ihn ab und drang erneut auf Sylvain ein. Sylvain wich einen Schritt zurück, einen zweiten – und trat ins Leere. Während er stürzte, gelang es ihm noch, sich nach vorn zu werfen. Er schlug mit dem Oberkörper auf die Felskante, doch sein Schwerpunkt ragte zu weit über den Abgrund hinaus. Unaufhaltsam rutschte er weiter seinem Verderben entgegen, bis seine Hände endlich einen Halt fanden. Er schrie und schrie, während Moon auf ihn hinunterblickte, ob festgefroren in Panik oder triumphierend über seinen Sieg, wusste Achim nicht.
    Achim sprang auf und stürzte an Moon vorbei zu Sylvain, warf sich auf den Bauch und griff nach seinen Händen, doch zu spät. Im selben Moment verließen Sylvain die Kräfte, und er rutschte ab. Fassungslos musste Achim mit ansehen, wie sein Freund fiel und fiel und auf die Geröllhalde prallte.
    Sofort verstummten die Schreie.
    Der Schotter geriet in Bewegung und riss das leblose Bündel, das einmal Sylvain gewesen war, mit sich in die Tiefe.
    Achim lag noch bewegungslos, als das letzte Poltern der fallenden Steine verklungen war. Dann richtete er sich langsam auf und wandte sich zu Moon um, der sich ebenfalls nicht gerührt hatte.
    »Geh«, sagte er tonlos. »Geh zurück nach Raato Danda und versuche, mit deiner Schuld zu leben. Und wage es nicht, mir jemals wieder unter die Augen zu treten.«

[home]
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    M ord.«
    Obwohl Anna geflüstert hatte, verstand Achim sie. »Das dachte ich zuerst auch«, sagte er, seine Stimme ebenfalls ein rauhes Flüstern, »doch später habe ich anders darüber geurteilt. Wir waren angespannt bis in die Haarwurzeln und hoffnungslos überfordert. Spätestens auf dem Erdrutsch mussten wir uns eingestehen, dass wir uns überschätzt hatten, doch keiner wollte der Erste sein, es zuzugeben.« Achim machte eine Pause. »Wir waren junge Männer«, fügte er hinzu, als erkläre allein dieser Umstand alles.
    »Aber du sagtest doch, Moon hätte ihn von dem Stein gestoßen?« Anna wunderte sich über sich selbst. Trotz der ungeheuerlichen Erkenntnis war sie ruhig und gefasst, ganz anders als bei Ingrids Eröffnungen, als sie heulte, wütete, verzweifelte. Sie stand, von Achim abgekehrt, vor dem Fenster und blickte auf die dunkle Gasse unter ihr, ohne wirklich etwas zu sehen – zu sehr beschäftigte sie das Gehörte.
    »Ich sagte, Moon hat ihn geschlagen, woraufhin Sylvain abgestürzt ist, nicht dass er ihn von dem Stein gestoßen hat. Das ist ein großer Unterschied.«
    »Es fällt mir schwer, den Unterschied auszumachen«, sagte Anna hart. »Er hat meinen Vater getötet.«
    »Im Affekt. Moon war wütend, genau wie Sylvain. Die beiden umschlichen sich schon zuvor wie Hund und Katze, und obwohl sie sich immer wieder zusammenrissen, kam es regelmäßig zum Streit. Die Chemie zwischen den beiden stimmte einfach nicht. Ich finde eine Prügelei im Prinzip nicht schlimm, im Gegenteil, sie kann die Atmosphäre reinigen, aber leider haben sich die beiden dafür den schlechtesten aller Plätze ausgesucht.«
    Anna schwieg. Und wenn dieser Moon nun genau auf diesen schlechtesten aller Plätze spekuliert hatte?
    »Es hätte auch andersherum ausgehen können.«
    Anna fuhr herum und sah Achim endlich ins Gesicht. »Was meinst du?« Sie wusste es genau.
    »Nun, wenn Sylvain die Oberhand behalten hätte, wäre vielleicht Moon statt seiner in die Schlucht gestürzt. Hättest du deinen Vater dann auch als einen Mörder bezeichnet?«

[home]
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    D er sportliche, hochgewachsene Mann inspizierte mit gerunzelter Stirn die zersplitterte Außentür, stieg über die Trümmer, machte einen Bogen um die Blutlache auf dem Boden und schob dann die zweite zerstörte Tür auf. »Fehlt etwas?«, fragte er beiläufig und ließ seinen Blick über die Regale mit den Tierfellen gleiten.
    »Nein, Boss«, sagte sein Begleiter. Obwohl von ausgesprochen kräftiger Statur, verhielt er sich dem anderen gegenüber unterwürfig. Seine Hände, die von seinen Ohrläppchen zu den Haaren, zurück zu den Ohrläppchen, in die Hosentaschen und wieder hinaus wanderten, verrieten seine Nervosität. Er wünschte, sein Boss würde ihn anbrüllen, ihm Vorhaltungen machen. Stattdessen zerschellte jeder seiner Versuche, sich für sein Versagen in der letzten Nacht zu rechtfertigen, an der glatten, emotionslosen Miene des anderen. Und die war unheimlicher als Schakalgeheul um

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