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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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nicht vorbei.«
    »Schneestürme?« Achim blickte in den wolkenlosen Frühlingshimmel. »Was für ein Unsinn.«
     
    Alle Anstrengungen auf ihrem Weg von Kathmandu verblassten zu bloßen Aufwärmübungen im Vergleich zu dem, was der dritte Tag seit ihrem Aufbruch von Moons Dorf ihnen abverlangte. Achim setzte stoisch einen Fuß vor den anderen, zählte jeden Schritt und zwang sich, erst nach dem hundertsten innezuhalten, wie schon bei den hundert Schritten zuvor und denen davor. Erschöpft stützte er die Hände auf seine Oberschenkel und rang nach Luft, aber es gab nicht genug.
    Vom Dorf aus hatte der Weg zu ihrem Ziel, dem heiligen Milchsee, gewirkt wie ein Spaziergang, aber sie hatten die Berge unterschätzt. Was vorher ausgesehen hatte wie sanft ansteigendes Gelände, erwies sich als tückisch und steil. Der Pfad war kaum ausgetreten und schwer zu begehen. In im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubendem Tempo gewannen sie an Höhe und litten bei jedem Schritt in der zunehmend dünner werdenden Luft.
    Trotzdem lohnte sich die Quälerei. Der Blick zurück in die Täler, kilometerweit unter ihnen, entschädigte für vieles, und der Blick nach vorn, auf die näher rückenden Gipfel des Himalayas, für den Rest. Achim war nicht so naiv zu glauben, sie könnten mit ihrer Minimalausrüstung auch nur den niedrigsten der Gipfel bezwingen, und doch hatte die Magie der stummen, menschenleeren Bergwelt alle drei in ihren Bann gezogen. Ein bisschen höher wollten sie noch, und noch ein bisschen, soweit es eben ging.
    Er atmete noch einige Male tief durch und wartete, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte, dann raffte er sich auf und nahm die nächsten hundert Schritte in Angriff. Sylvain und Moon waren ihm ein wenig voraus, und er staunte einmal mehr über die Zähigkeit des zarten Franzosen. Der Glückliche hatte wesentlich weniger Probleme mit dem Anstieg und der dünnen Luft. Nach weiteren vierzehn- oder fünfzehnmal hundert Schritten erscholl ein freudiger Ruf. Achim blickte auf. Sylvain stand auf einer Bodenwelle etwa dreißig Meter über ihm und winkte ihm zu. »Wir haben es geschafft!«, schrie er und verschwand.
    Achim biss die Zähne zusammen, und wenige Minuten stand auch er auf der Kuppe. Sie hatten ihn tatsächlich erreicht: Dudh Pokhari, den Milchsee. Er musste nicht fragen, wie der gletschergespeiste See zu seinem Namen gekommen war: Das Wasser glomm in einem unwirklichen hellen Grün und wirkte von seinem Standpunkt aus so undurchsichtig wie, nun ja, wie Milch, obwohl es sicher das jungfräulichste Gewässer war, das er jemals zu Gesicht bekommen hatte, bar jeglichen Lebens und der normalerweise daraus resultierenden Verunreinigungen. Als sie schließlich gemeinsam am Ufer standen, erzählte Moon, dass die Nepalesen an einem bestimmten Tag im Sommer zu Hunderten zum Milchsee pilgerten, denn sein Wasser hatte die Macht, die Menschen von Sünden reinzuwaschen.
    »Nur die Jungen, Starken?«, fragte Achim, obwohl er die Antwort ahnte.
    Moon schüttelte den Kopf. »Alle. Auch Alte, manchmal Kinder und sogar Kranke.«
    Achims Achtung vor den Einheimischen stieg ins Unermessliche. Nie zuvor hatte er Menschen kennengelernt, die trotz einer einseitigen, wenig gehaltvollen Ernährung derart respekteinflößende Leistungen vollbringen konnten.
    Während er noch seinen Gedanken nachhing, zog sich Moon aus und wagte einen ersten Schritt ins Wasser. Es schien ihm nicht zu behagen, aber er ging weiter, bis es ihm zur Hüfte reichte. Dann stieß er einen triumphierenden Schrei aus und tauchte vollständig unter. Prustend kam er wieder an die Oberfläche. Achim bekam stellvertretend für Moon eine Gänsehaut, aber als sich auch Sylvain seiner Kleidung entledigte und in den See watete, hielt es ihn nicht länger. Er glaubte zwar nicht an die spirituelle Kraft des Wassers, aber durchaus an seine säubernde. Schlimmer als ein Kneippbad würde es schon nicht sein, und dafür waren selbst die verweichlichten Deutschen hart genug.
    Es war schlimmer.
    Fluchend flüchtete Achim wieder ans Ufer, während Sylvain und Moon mit Wasser in seine Richtung spritzten. Sobald er außerhalb ihrer Reichweite war, zerrte er ein kleines Handtuch aus seiner Tasche und begann, sich abzurubbeln. Langsam kehrte eine angenehme Wärme in seinen Körper zurück. Nackt, wie er war, drehte er sich um seine eigene Achse, nahm das unglaubliche Panorama in sich auf, die Ödnis der dunklen Felshänge, das geheimnisvolle Grün des Sees, die nur wenig entfernten

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