Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
Vom Netzwerk:
hatte die Felsen so lange geschliffen, bis sie einem Faltenwurf ähnelten.
    Und dann sah er es.
    Am Fuße des Faltenwurfs, oberhalb einer flachen Geröllhalde, leuchtete ein grellgelber Fleck.
     
    »Ich erschieße sie«, wiederholte Achim. »Lass die Waffe fallen.«
    Der Schneeleopard stand noch immer im Zelteingang und rührte sich nicht. Es war jetzt hell genug, dass Tara seine Züge erkennen konnte, seine Gletscheraugen, die ihr vor vielen Wochen im Rebellenlager so viel Angst eingejagt hatten. Sein Gewehrlauf war noch immer auf Achim gerichtet, so wie dessen Pistole auf Tara. Tara wagte kaum zu atmen, während sich die beiden Männer hasserfüllt maßen. Wirf das Gewehr fort, wollte Tara schreien, doch gleichzeitig wusste sie, dass es nichts ändern würde. Achim würde sie töten, so oder so. Und der Schneeleopard wusste es ebenfalls.
    Achim bewegte sich als Erster, und er war schnell. Tara heulte auf, als er sie unter der Achsel packte und hochriss. Er umklammerte ihre Taille und presste sie gegen sich, die Pistole bohrte sich in ihren Hals. Tara wand sich, doch ihre gefesselten Füße erlaubten keine Gegenwehr. Hilflos musste sie zulassen, dass Achim sie in Richtung des Zeltausgangs vor sich herschob, bis sie kaum eine Armlänge von dem Pangje entfernt stand und den verzweifelten und um Entschuldigung bittenden Ausdruck in seinen Augen erkannte.
    Auch Achim bemerkte ihn.
    »Du warst schon immer gefühlsduselig«, sagte er verächtlich. »Um zu überleben, braucht es Härte, aber davon verstehst du nichts. Und jetzt ist es zu spät.«
    Einen Wimpernschlag zuvor hatte Tara befürchtet, der Schneeleopard würde zerbrechen, doch jetzt spannte sich sein Körper, kalte Wut spiegelte sich in den Gletscheraugen. Taras Herz setzte für einen Augenblick aus. Sie hatte einem sprungbereiten Waldleoparden gegenübergestanden, und sie erkannte die Ähnlichkeit. Der Pangje, der Schneeleopard! Es steckte Wahrheit in den Legenden.
    »Es ist nicht zu spät«, sagte er, und in Taras Ohren klangen seine Worte wie Knurren. »Ich habe über dreißig Jahre auf diesen Moment gewartet.«
    Achims Hand mit der Pistole schnellte vor, fort von Tara.
    Der Schneeleopard reagierte sofort. Wie ein abgeschossener Pfeil, unheimlich still und tödlich, warf er sich auf Tara. Die Wucht des Aufpralls riss sie und Achim von den Füßen. Ein Schuss löste sich mit ohrenbetäubender Lautstärke und riss ein Loch in die Zeltplane und den weiten Himmel darüber. Tara bekam einen Ellbogen in die Seite, einen Tritt in den Bauch, sie biss und schlug mit den gebundenen Fäusten um sich. Der Pangje und Achim stießen und hieben aufeinander ein. Ein weiterer Donnerschlag zerfetzte den Morgen.
    Tara brüllte auf. Ihr war, als hätte ein Fausthieb ihren Körper getroffen, Feuer durchfloss sie. Ihre Welt schrumpfte zusammen. Das Zelt verschwand, die Pritsche, alles. Ihr Körper brannte, sie schrie, ohne sich selbst zu hören, und dann verließ sie selbst die Kraft zum Schreien. Als Letztes sah sie zwei Gletscherseen, unergründlich und doch tröstlich. Sie ließ sich fallen in die Umarmung des eisigen Wassers.
     
    Er verlor einen Fäustling, scharfkantige Felsen zerschnitten ihm die Handflächen, die Hose zerriss, sein Kinn schürfte auf, Kim bemerkte es nicht. Unempfindlich für jeden Schmerz, angetrieben von seiner wahnwitzigen Hoffnung, kletterte, sprang, rutschte er die steile Böschung zum Talboden hinunter, prallte auf den Grund, riss sich auf die Füße und rannte, rannte auf den gelben Fleck zu. Noch hundert Meter, er strauchelte, noch sechzig, fünfzig, der Fleck entpuppte sich als ein Schlafsack, und dort, etwas entfernt, lag ein dunkles Bündel, ein Mensch? Seine Lungen brannten, er raste weiter. Entdeckte Annas dunkelbraunen Haarschopf, ihr starres, totenbleiches Gesicht unter dem gelben Schlafsack hervorlugen. Blutiger Schaum trocknete auf ihren Lippen.
     
    In der Ferne brüllte eine Raubkatze.

[home]
56
    März 1970
    D er Schneesturm wütete den ganzen Nachmittag und Abend und die halbe Nacht. Sylvain, Achim und Moon hatten kaum Zeit gehabt, das eiskalte Wasser des Milchsees zu verlassen, ihre Sachen zusammenzuklauben und zu dem einzig vorhandenen Unterstand, vielleicht zweihundert Meter von ihrem Badeplatz entfernt, zu eilen, als die Hölle über ihnen losbrach. Gleichermaßen verängstigt wie froh darüber, dass es überhaupt eine Schutzhütte gab, hatten sie sich in einem Winkel des fensterlosen Steinhäuschens aus ihren Bhakhus und Decken

Weitere Kostenlose Bücher