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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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ein Schwächling wirken. Ihr Proleten baut ja eher auf eure Muskeln als auf euren Kopf.« Sylvain ging es nur noch darum, Achim zu beleidigen, und er kannte seinen wunden Punkt: Achims Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den anderen Hippies, die zum größten Teil aus bürgerlichen Verhältnissen stammten und ihn in Diskussionen regelmäßig abblitzen ließen. »Ein bisschen Nachdenken, bevor du mit dem Kopf durch die Wand gehst, wäre vielleicht ganz angebracht. Aber Denken ist ja nicht deine Stärke. Du hast schließlich nicht einmal die Schule geschafft. Glaubst du, mit so einem mag sich Babsi abgeben?« Sylvain hatte sich derart in seine Wut hineingesteigert, dass er die Kälte in Achims Blick erst bemerkte, als es zu spät war.
    »Nun«, sagte Achim lauernd, als Sylvain seine Tirade beendet hatte, »du meinst also, Babsi will mich nicht, weil ich blöd bin? Interessant. Dabei scheint sie von deinen Vorzügen auch nicht sonderlich beeindruckt zu sein.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Sylvain scharf, aber endlich auf der Hut.
    »Ich will damit sagen, dass sie ziemlich angetan von mir war, wenn wir gevögelt haben.«
    Sylvain blieb die Luft weg. »Ihr habt –?«, keuchte er.
    »Aber natürlich. Du hast sie wohl gelangweilt, und da hat sie bei dem Trost gesucht, der sie wirklich versteht: bei mir.«
    Sylvain sah rot. Wie eine gereizte Raubkatze ging er auf Achim los, schlug in blinder Raserei auf ihn ein, doch der andere war ihm körperlich überlegen. Sylvain teilte aus, aber mehr noch steckte er ein. Achim versetzte ihm einen heftigen Stoß vor die Brust. Sylvain trat ins Leere, verlor das Gleichgewicht und rutschte über die Kante. Panisch suchte er nach einem Halt, fand ihn und fing seinen Sturz ab, doch nun baumelte er über dem Abgrund, unter sich den todbringenden Erdrutsch, über sich Achims zu einer hämischen Grimasse gefrorenes Gesicht.
    »Hilf mir!«
    Achim ging in die Hocke, streckte seinen Arm aus und tätschelte Sylvains Hände.
    »Halt mich. Bitte!«
    Achim zog seinen Arm wieder zurück. »Warum sollte ich?«, fragte er. »Du stehst mir im Weg, und eine elegantere Lösung für das Problem lässt sich nun wirklich nicht finden. Du hast es doch selbst gesagt: Wir sind blöde Ausländer und haben die Gefahren der Berge unterschätzt. Ein bedauerlicher Unfall, nicht mehr, nicht weniger.«
    In diesem Moment begriff Sylvain, und seine Verzweiflung steigerte sich ins Unermessliche. Er würde sterben, hier, in dieser menschenleeren Wildnis. Achim ließ ihn eiskalt abstürzen. Schon verließen ihn die Kräfte, es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sich seine kälteklammen Finger von dem Vorsprung lösten.
    In diesem Moment packte Moon sein Handgelenk. Der Nepalese lag auf dem Bauch, mit kreidebleichem, vor Angst verzerrtem Gesicht, und zog. Neue Hoffnung durchflutete Sylvain. Er strampelte und versuchte einen Halt für seine Füße zu finden, vergeblich.
    Achims Stimme donnerte durch die klare Luft: »Lass ihn los!«
    »Nein!« Sylvain schrie seine Todesangst hinaus. Moon verdoppelte seine Anstrengung. Plötzlich stöhnte er auf. Und ließ los.
    Sylvain schrie noch immer, als er auf den Abhang prallte. Ein Schmerz, so stark, wie er es nicht für möglich gehalten hatte, schoss durch seinen Kopf und Körper, und dann spürte er nichts mehr.
     
    Etwas Weiches in seinem Gesicht, unter seinen Händen, Wärme, wo zuvor Kälte geherrscht hatte, dann nichts. Augen, grün und unergründlich. Er schwamm in einem Meer aus Feuer. Schmerzen, scharf und gleißend, dann dumpf, dann nichts. Stimmen, Gesichter, nichts. Er strampelte, suchte Halt, krallte, zerrte sich nach oben, er wollte nicht sterben, nicht jetzt, noch nicht!
    Er schlug um sich, fiel und prallte auf die Erde.
    Und erwachte.
    Ein Lachen empfing ihn in der Welt der Lebenden. Das Lachen seiner zukünftigen Frau.
    Aber das ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht.
     
    Jampa hatte den kreisenden Schneegeier schon lange bemerkt, bevor sie den Erdrutsch erreichten. Neugierig hatte sie immer wieder die schneebedeckten Hänge abgesucht, um zu sehen, was den Geier angelockt haben mochte, und so erspähte sie als Erste Sylvains knallrote Mütze. Ohne einen Moment zu zögern, kletterten Jampa und zwei ihrer Begleiter, Namka und Dadul, zu dem Bündel am Fuße des Erdrutsches hinunter. Es war gefährlich, doch sie alle hatten schon weitaus gefährlichere Situationen gemeistert. Seit ihrer Pilgerreise zum Kloster von Sama Gaon fühlten sie sich ohnehin

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