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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Fortschritt. Genau wie der König.«
    »Sohn! Sei vorsichtig mit dem, was du sagst. Der König ist eine Inkarnation Vishnus, er ist ein Gott.«
    »Das ist er nicht! Er ist ein Brudermörder, der sich die Taschen mit dem Geld des Volkes füllt. Ihm geht es nur um seinen Vorteil und um Macht.«
    »Sei still! Das sind nur Gerüchte. König Gyanendra hat niemanden umgebracht. König Birendra ist von seinem eigenen Sohn erschossen worden, niemand anderen trifft die Schuld.«
    »Glaub doch, was du willst. Es ist im Grunde gleichgültig. Birendra, Gyanendra – Nepal braucht sie nicht. Was wir brauchen, ist ein gewähltes Parlament. Was wir brauchen, ist der Maoismus.«
    »Maoismus?«, fragte der Vater höhnisch. »Ihr nennt euch Maoisten, aber was zum Teufel bedeutet das eigentlich? Soll Nepal bald ein Teil Chinas sein? Ist euch eigentlich klar, wer Mao war?«
    »Der Präsident von China?«, sagte Biraj kleinlaut.
    Der Vater stieß einen Seufzer aus. »Ihr seid so naiv«, sagte er leise. »Ihr werdet von euren Vorbildern ebenso ausgenutzt, wie ihr von den regierenden Parteien, dem König oder wem auch immer ausgenutzt worden seid. Sie sind alle gleich, merkt euch das. Solltet ihr jemals siegreich sein, wird sich sofort jemand finden, der im Namen des Volkes die Macht übernimmt. Und wer die Macht hat, der nutzt sie auch aus.« Er machte eine Pause. »Mao?«, setzte er nach einer Weile wieder an. »Was auch immer ihn getrieben hat, zum Wohle des Volkes war es nicht. Den Bauern geht es schlecht, solange sich die Erde dreht, zumindest denen, die Skrupel haben und nicht mit dem Bösen paktieren.«
    »Paktieren wir nicht selbst mit dem Bösen?« Tara hielt es nicht mehr auf ihrem Platz. Sie stürmte in die Küche und wedelte mit ihren teigverklebten Händen vor dem Gesicht des Vaters hin und her. »Der Bhoot kommt und geht, wie es ihm beliebt, tut und lässt, was er will. Alles müssen wir nach seinem Willen machen!«
    »Nenn ihn nicht Bhoot!« donnerte der Vater. »Er ist kein Dämon, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.«
    »Ein fürchterlicher Mensch. Wenn die Maoisten gegen Menschen wie ihn sind, dann gehe ich ebenfalls mit Bahadur zu den Rebellen.«
    »Untersteh dich! Solange du nicht verheiratet bist, ist dein Platz hier.«
    Tara stand sprachlos mitten im Raum. Mit einem einzigen Satz hatte ihr Vater sie besiegt. Ihr Platz war hier. In dieser Küche, auf dem Feld, dann wieder in der Küche. Irgendwann würde sie verheiratet werden, und das Einzige, was sich ändern würde, waren die Küche und die Felder. Sie brauchte nur zu interessieren, ob ihr Vater ihr einen einigermaßen netten Ehemann suchte und sie als erstes Kind einen Sohn gebar. Tränen traten in ihre Augen. Sie zog die Nase hoch und wandte sich wieder zu der dunklen Öffnung, die in den Nebenraum führte. Doch in ihrem Herzen erwachte der Widerstand, ein schönes und gefährliches Tier mit blitzenden Zähnen und Klauen. Tara wusste um dieses Tier in ihr seit Jahren, und es kostete sie von Monat zu Monat mehr Kraft, es zu kontrollieren. Immer machtvoller dehnte und reckte es sich, flüsterte ihr Gedanken ein von Selbstbestimmung und Freiheit, von Aufbegehren gegen das vorherbestimmte Schicksal, von einem Leben jenseits ihrer von Bergen umstellten Welt. Gedanken, die sich für eine dreiundzwanzigjährige Frau nicht ziemten.
    »Bleib hier.«
    Tara blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
    »Setz dich zu uns, Tara. Die Gleichheit, die wir wollen, bezieht sich auch auf dich. Viele Frauen kämpfen bei den Maoisten«, sagte Bahadur.
    »Und der Teig?«
    »Der ist jetzt nicht wichtig.«
    Tara brachte ihre Arbeit dennoch zu Ende. Ihr Pflichtbewusstsein war stärker als der Wunsch, sich zu den Männern zu setzen und als Gleichberechtigte behandelt zu werden, doch sie war näher zum Durchgang gerutscht und tauschte Blicke mit ihrem Bruder. Bahadur erzählte von den entbehrungsreichen Wochen mit seinen Kameraden im Bergdschungel, immer in Bewegung, immer auf der Flucht. Erzählte von den Straßensperren, die es den Maoisten so gut wie unmöglich machten, mit dem Bus zu reisen, erzählte von im Gefängnis sitzenden Rebellen und der Willkür der Polizei. Und vom schönen Leben, das sie alle führen würden, sobald der Krieg des Volkes siegreich beendet worden wäre. Während Tara lauschte, wuchs das Tier weiter. Sie wollte teilhaben!
    Irgendwann unterbrach der Vater Bahadurs Redefluss. »Ich wünschte, ich könnte dich halten«, sagte er, und Tara glaubte, Stolz aus

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