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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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schälte. Die Geräusche der schlafenden Familie erfüllten den Raum, es stöhnte, schnaufte und schniefte. Erkältungszeit, dachte Tara und unterdrückte ihrerseits ein Husten. Geräuschlos schlich sie an den Schlafenden vorbei, schlüpfte hinaus und überquerte den Hof in Richtung der am Rand des Feldes stehenden Toilette. Nachdem sie kurz darauf die Tür des Bretterverschlags wieder mit Draht gesichert hatte, ging sie über das Gemüsefeld und betrat den Büffelstall. Die Wasserbüffelkuh schnaubte beunruhigt. Tara tätschelte sie zwischen den mächtigen, nach hinten gebogenen Hörnern.
    »Ich bin gleich wieder fort«, flüsterte sie in das weiche Ohr, dann drängte sie sich an der Kuh vorbei in den hinteren Teil, wo sich das dreibeinige Kalb niedergelegt hatte. Trotz seiner Behinderung hatte es eine stattliche Größe erreicht, und Tara hatte das Tier ins Herz geschlossen. Es gab ihr jedes Mal einen Stich, wenn sie es über das Feld humpeln sah. Zur Arbeit war es ungeeignet, weshalb sie es bald verkaufen würden, und Tara wusste, dass das Kalb unweigerlich bei den Schlachtern enden würde. Die Unausweichlichkeit seines Schicksals berührte sie.
    Neben dem Kalb wölbte sich ein niedriger Heuhaufen. Tara wischte eine Lage schmutziges Heu beiseite und zog einen prall gefüllten kleinen Rucksack hervor, den sie während des Tages heimlich gepackt und versteckt hatte. Sie streifte ihre verschlissene Nachtkleidung ab und zerrte frische Sachen aus dem Rucksack. Schnell zog sie sich Unterhemd und Pullover, lange Unterhosen, eine bis zum Knie reichende, orangefarben und violett gemusterte Kurtha und eine dazu passende weite Hose über. Die Nachtkleidung stopfte sie in den Rucksack. Nachdem sie die beiden Büffel ein letztes Mal getätschelt hatte, verließ sie den Stall.
     
    Auf dem Hof blieb sie stehen. Ihr schien, als nähme sie ihre Umgebung zum ersten Mal seit vielen Jahren bewusst wahr: das niedrige, langgestreckte Wohnhaus, dessen Wände sie im Laufe ihres Lebens eigenhändig wieder und wieder mit orangefarbenem und weißem Lehm bestrichen hatte, den windschiefen Ziegenstall, das Sammelsurium von Wasserbehältern, ihre beiden zerzausten Hühner, die nebeneinander auf dem Geländer der Veranda hockten und schliefen, den von Bahadur im letzten Sommer gepflanzten Kaffeestrauch, die über Büsche und Bäume zum Trocknen ausgebreitete Wäsche. Widerstrebend riss sich Tara von dem eigentlich vertrauten und plötzlich so fremden Anblick los und trat vor die Veranda.
    Vor den Türen standen aufgereiht die Schuhe der Familie. Zwischen den Plastiksandalen stachen Bahadurs Turnschuhe heraus wie ein Fasan zwischen Spatzen. Schmutzig und an den Seiten aufgerissen, waren sie doch die einzigen für eine lange Wanderung tauglichen Schuhe. Ohne die Augen von ihnen zu nehmen, lauschte Tara mit angehaltenem Atem, aber außer ihrem wild pochenden Herzen war kein Laut zu vernehmen. Entschlossen setzte sie sich auf den Absatz der Veranda, streifte ihre eigenen Sandalen ab und zog Bahadurs Turnschuhe an. Sie waren zu groß, doch es würde gehen.
    Etwas stupste sie in die Seite. Tara unterdrückte einen Aufschrei, und ihr Magen zog sich zusammen. Einen Moment später drängte sich ein weicher Körper an sie, und ein strenger, warmer Geruch stieg ihr in die Nase. Erleichtert stieß sie die Luft aus: der Hund! Es war nur der Hund, der irgendwo in den Schatten des Hofes geschlafen hatte und sich nun vergewissern wollte, ob alles mit rechten Dingen zuging.
    »Leg dich wieder hin«, zischte sie ihm zu, aber er setzte sich mit schief gestelltem Kopf vor sie und sah sie an. Seine Augen funkelten dunkel in dem mächtigen braun-schwarzen Hundegesicht, sein Schweif fegte mit langsamen Bewegungen den Boden. Tara gab ihm einen Knuff und stand auf.
    Es war so weit. Ein letztes Mal wanderte ihr Blick über ihr Zuhause, von dem sie sich noch nie weiter als zwei Tagesmärsche entfernt hatte, dann straffte sie sich, schwang den Rucksack auf den Rücken und wagte den ersten Schritt ihrer langen Reise nach Kathmandu. Halb hoffte sie, entdeckt zu werden, zu ungeheuerlich erschien ihr das Vorhaben, zu wagemutig und gefahrvoll. Aber dann tat sie noch einen Schritt und noch einen, und nichts regte sich. Unbehelligt erreichte sie den zum Hauptweg führenden Pfad, und dann verschluckte sie die Nacht.
     
    Tara atmete schwer. Sie war zäh und körperliche Anstrengungen gewöhnt, doch die letzten Stunden hatten sie an den Rand der Erschöpfung gebracht. Um eine

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