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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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und Stacheldraht sie im Zaum halten. Die untergehende Sonne hatte die schuhkartonkleinen Hütten aus Wellblech, Pappe und Brettern in goldenes Licht getaucht und damit alles noch schlimmer gemacht. Anna fürchtete, nie wieder einen Sonnenuntergang genießen zu können – die damit verbundene Romantik war ein für alle Mal dahin. Anna hatte genug von Indien, bevor sie überhaupt angekommen war.
    Während ihres mehrstündigen Aufenthalts in Bombay hatte sie den Flughafen nicht verlassen, sondern die Zeit genutzt, von ihrem Platz aus das Treiben im Transitbereich zu beobachten und sich an den Anblick von Saris und Turbanen, von Nehru-Hemden und überhaupt von Menschen zu gewöhnen, die völlig anders aussahen als sie. Anna hatte sich noch nie so fremd gefühlt und sogar erwogen, umzukehren, aber dann war sie doch an Bord des Flugzeugs nach Kalkutta gegangen, und hier saß sie nun.
    Der Kapitän steuerte das Flugzeug auf sein Ziel zu, und je näher es rückte, desto nervöser wurde Anna. Während unter ihr der indische Kontinent erwachte, fragte sie sich, wie sie sich auf dieses Abenteuer hatte einlassen können. Hätte sie die Geister der Vergangenheit nicht besser ruhenlassen? Sie schob die Fensterblende hoch und drückte die Nase gegen die Kunststoffscheibe. Im Osten kündigte ein dunkelrosa Streifen den Sonnenaufgang an. Es war zu spät zum Umkehren. Die Geister waren hellwach und piesackten sie. Anna musste sich dem stellen, was Ingrid ihr zu sagen hatte.

[home]
13
    T ara schrie auf, als der Leopard ein tiefes Grollen hören ließ. Ihr brach der Schweiß aus, und der erste Impuls war, einfach fortzulaufen. Doch glücklicherweise hatte der Schreck sie regelrecht auf die Stelle genagelt. Kein Mensch konnte vor einem Waldleoparden flüchten, im Gegenteil, der Chituwa würde ihre Flucht als Einladung zur Jagd begreifen. Was hatten die Männer getan, als vor drei Wintern ein Leopard ins Dorf gekommen war und zwei Ziegen gerissen hatte? Was? Ihre Gedanken überschlugen sich, doch sie konnte keinen festhalten außer einem: Dort unter den Bäumen kauerte das größte und gefährlichste Raubtier der Wälder, bereit, sie zu zerfetzen.
    »Hout, hout!«, rief sie zaghaft. Es war der Ruf, mit dem die Menschen überall in den Bergen die Leoparden von ihren Höfen verjagten, doch in diesem Wald glaubte sie nicht an seine Wirkung. Dies war sein Reich, nicht ihres. »Hout, hout! Verschwinde! Ich will nicht sterben.« Tara traten Tränen in die Augen.
    Der Leopard fauchte. Nun konnte sie auch den mächtigen Körper des Tieres erkennen. Gelähmt vor Entsetzen, beobachtete sie, wie er sich auf sie zubewegte. Tara schloss die Augen.
    Plötzlich ließ ein furchteinflößendes Knurren die Nacht vibrieren, Fauchen und Schreien erfüllte die Luft. Ergeben wartete Tara auf den todbringenden Angriff, doch nichts geschah. Das Fauchen wurde von einem Jaulen abgelöst. Und während Tara mit zusammengekniffenen Augen auf dem Chautari stand, starb sie und wurde wiedergeboren, starb ein weiteres Mal und schlingerte durch das Nichts, bis sie erneut die Kälte spürte, die rauhe Rinde des Baumes, gegen den sie sich stützte. Sie riss die Augen auf.
    Der Leopard war verschwunden, dafür lag am Fuß des Chautaris ein dunkler Klumpen. Tara stieg mit zitternden Beinen von dem Steinblock, strich über die sich kaum spürbar hebenden und senkenden Flanken des Hundes und begriff, dass er ihr die ganze Nacht gefolgt war.
     
    Die aufgehende Sonne beleuchtete die Felder auf dem gegenüberliegenden Berg, während der am Westhang gelegene Wald noch im Schatten lag. Tara kauerte schon seit Stunden regungslos neben dem Hund, als eine Männerstimme sie aufschreckte.
    »Namaste, Kanchhi. Was tust du hier?«, fragte er.
    Tara sah auf und musterte den Mann. Im ersten Moment wollte sie ihm antworten, er möge sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und sie in Ruhe lassen, doch dann sah sie die Besorgnis in seinem Gesicht. Er war klein und drahtig, etwa so alt wie ihr Vater und entsetzlich mager. Trotz der morgendlichen Kälte trug er lediglich alte, bis zu den Knien reichende Hosen und ein schmutzstarrendes T-Shirt. Seine verhornten Füße steckten in violetten Plastiksandalen.
    »Dein Hund sieht nicht gut aus«, bemerkte der Mann und wuchtete seine Last, einen eckigen, mit Kisten gefüllten Gitterkorb aus Metall, auf die Steinstufe des Chautaris. Dann hockte er sich neben Tara. »Was ist geschehen?«
    Stockend erzählte Tara ihm von dem Leoparden. Der Mann

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