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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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dunklen Stunden, und auch ich werde den Nachthimmel ab heute mit anderen Augen betrachten. Bringen Sie uns Glück. Wir haben es bitter nötig.« Dann drehte er sich um, ohne ihr eine Gelegenheit zum Antworten zu geben. Schon nach wenigen Schritten verschwamm seine Gestalt im Morgennebel, und er wurde eins mit dem Wald. Tara schluckte hart. Sie verspürte einen Klumpen im Magen, von dem sie nicht wusste, ob er ihr angenehm oder unangenehm war. Dann wandte auch sie sich um und eilte Achal nach, den Hund an ihren Fersen.

[home]
18
    C hai, chai, coffee, chai!«
    Der laute Ruf riss Anna aus dem Schlaf. Erschrocken fuhr sie hoch und stieß sich prompt den Kopf an der oberen Pritsche. Noch bevor sie sich zurechtgefunden hatte, tauchte Kims Kopf von oben auf. Anna musste lachen: Es sah einfach zu komisch aus, wie er da herabbaumelte, die Haare verstrubbelt und mit traumschwerem Gesichtsausdruck.
    »Guten Morgen«, nuschelte er. »Gut geschlafen?« Er gähnte herzhaft, und Anna beneidete ihn einmal mehr um seine strahlend weißen Zähne. Ohne Ingrid gesehen zu haben, wusste sie, dass die Zähne das Erbe seines Vaters waren.
    »Chai, chai, coffee, chai!« Der Ruf kam näher, und endlich zeigte sich auch der Verursacher: Ein junger Mann mit einem vollbeladenen Tablett und mehreren Thermoskannen quetschte sich an den Passagieren vorbei durch den Gang. Auf dem Kopf balancierte er ein weiteres Tablett mit Bergen von dünnen Brotfladen, Curryreis und Nüssen. Direkt vor Anna blieb er stehen und lachte sie an. »Chai?«, fragte er.
    »Coffee?«, fragte sie zurück und nahm sich angesichts seiner ebenfalls perfekten Zähne vor, sich nach den indischen Zahnpflegegeheimnissen zu erkundigen.
    »Chai«, sagte Kim und drückte ihm ein paar Münzen in die Hand.
    Ohne den Kopf zu bewegen und seine Ware zu gefährden, goss der Mann ein Glas Kaffee und ein Glas Tee ein und widmete sich dann dem nächsten Kunden.
    Da sie auf ihrer Pritsche keine Möglichkeit zum Sitzen hatte, stützte sich Anna vorsichtig auf den Ellbogen und schaffte es tatsächlich, nichts zu verschütten. Während sie langsam den heißen Kaffee nippte, flog draußen eine hitzeflirrende, currygelbe Welt vorbei. Currygelbe Häuser standen in currygelben Feldern, auf denen knochige Kühe in einem etwas dunkleren Curryton nach etwas Essbarem suchten. Lediglich die Menschen brachten andere Farben ins Bild: Zu Hunderten hockten Frauen in bunten Saris und weißgekleidete Männer am Bahndamm und in den Feldern und schauten beiläufig dem Zug nach.
    »Warum sitzen die Menschen alle dort?«, fragte Anna nach oben gerichtet.
    »Warum wohl? Sie kacken.«
    »Wie bitte? Ins Gemüse?«
    Kim kletterte von seiner Pritsche und blieb kurz stehen. »Wohin denn sonst?«, fragte er grinsend. »Wir Inder geben uns viel Mühe, den gängigen Vorurteilen zu entsprechen. So, ich verschwinde mal eben zum Zähneputzen.«
     
    Am frühen Vormittag erreichten sie Siliguri, Endstation des Darjeeling Mail und Ausgangspunkt diverser Busunternehmer für die Fahrt in die Berge. Dank Kim verlief der Wechsel von einem Verkehrsmittel ins nächste reibungslos, und ehe Anna sich versah, verließ der Bus den Busbahnhof. »Ich hatte im Reiseführer über diese kleine Eisenbahn gelesen. Warum nehmen wir die nicht?«, fragte Anna.
    »Du meinst den Toy Train. Ehrlich gesagt, ich habe das gar nicht in Erwägung gezogen. Der Bus ist wesentlich schneller. In drei Stunden sind wir zu Hause.«
    »Macht nichts. Ich kann ja mit dem Zug zurückfahren. Lohnt es sich denn?«
    »Keine Ahnung. Ich habe ihn noch nie benutzt.«
    »Wirklich? Aber das ist doch ein Touristenhighlight.«
    »Eben. Ich bin keiner.«
    Nach einer Pause ergriff Anna erneut das Wort. »Hast du dein ganzes Leben in Darjeeling verbracht?«
    Kim schüttelte den Kopf. »Nein, bis zu meinem zwölften Lebensjahr lebte ich in Kalkutta, und die letzten fünf Jahre habe ich in Berlin studiert. Meine Eltern wollten mich schon früher zu Mutters Eltern schicken, damit ich eine deutsche Schule besuchen kann, aber damals habe ich mich noch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Ich kannte Deutschland von einigen Urlauben und fand es furchtbar.« Er suchte nach Worten.
    »Kalt? Unpersönlich? Langweilig?«
    »Von allem etwas. Und zu sauber.«
    »Wie kann etwas zu sauber sein?«, fragte Anna verblüfft.
    »Dann, wenn es manisch wird. Irgendwie fand ich Deutschland immer zu organisiert, zu wenig spontan. Nun ja, in meiner Berliner Zeit hat sich der Schrecken namens

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