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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Beatles. Sie hatten gut zwanzig Kassetten dabei, und Ingrid kannte sie mittlerweile auswendig. Obwohl sie die Musik eigentlich mochte, gab es Tage, an denen sie die Kassetten am liebsten in der Wüste vergraben hätte. Die Enge im Bus zerrte an ihrer aller Nerven, und Ingrid wünschte nichts sehnlicher als ein paar Momente der Ruhe.
    Staub wirbelte durch die geöffneten Seitenfenster und legte sich auf alles, knirschte zwischen den Zähnen und nahm selbst Babsi, die auf dem Beifahrersitz hingebungsvoll Orangen pellte, etwas von ihrer Frische. Nun, dachte Ingrid, wir sehen alle nicht mehr aus wie das blühende Leben. Die bisherige Reise war eher selten eine ›Magical Mystery Tour‹ gewesen, sondern schlicht anstrengend, auch wenn Ingrid zugeben musste, dass Lennon & Co. mit ihrem ›Trip of a Lifetime‹ der Sache ziemlich nahekamen.
    Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, deutete Babsi nach draußen. »Das ist so ziemlich das Ödeste, was ich je gesehen habe«, sagte sie mit einem gereizten Unterton. »Wann, schätzt du, sind wir in Kandahar?«
    »Ich hoffe, noch heute.«
    »Irgendwie habe ich mir das alles anders vorgestellt.«
    »Was meinst du mit ›das alles‹?«
    »Na, alles eben. Die Fahrt, die Länder, die Städte, die Menschen. In meinen Träumen war alles farbenfroher und fröhlicher. Versteh mich nicht falsch, die Leute, die wir treffen, sind nett, aber ich habe bisher nicht ein einziges Mal das Bedürfnis verspürt, zu bleiben.«
    »Das geht mir ähnlich. Träume sind nun mal bunter als das Leben. Außerdem sind wir ja noch nicht in Indien.«
    »Stimmt. Aber … Himmel! Pass auf!«
    Gleichzeitig mit Bärbels Schrei hatte auch Ingrid das Kamel gesehen. Wie aus dem Nichts war es plötzlich auf der Straße aufgetaucht, es musste hinter einem Hügel hervorgesprungen sein. Ingrid riss am Steuer, um dem Tier auszuweichen, doch es gelang ihr nicht. Ein heftiger Stoß erschütterte den Bus, als sie es seitlich rammte. Bestürzt trat Ingrid auf die Bremse. Da die Bremsbeläge nicht mehr die neuesten waren, buckelte und schlingerte der Bus. Dann schrie Babsi, die den Kopf aus dem Seitenfenster gesteckt hatte, erneut auf:
    »Fahr zu! Da sind Männer mit Gewehren!«
    Ein Schuss knallte, dann noch einer und noch einer. Achim, Marten und Pieter brüllten durcheinander, von draußen drang das Geheul aufgebrachter Männer, das Kamel blökte herzzerreißend. Ingrid trat das Gaspedal durch. Der malträtierte Motor heulte auf, die Räder drehten durch, Kies spritzte nach allen Seiten, und jetzt sah auch Ingrid die wutverzerrten Gesichter der Afghanen immer näher kommen. Endlich fassten die Räder, und mit einem Satz schnellte der Bus nach vorn, einen Moment, bevor die Männer sie erreichten. Erneut wurden sie beschossen.
    »Duckt euch!«, brüllte Ingrid und raste in halsbrecherischem Tempo über die unebene Straße, während das Knallen und Pfeifen der Schüsse sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Weg hier, nur weg!, dachte sie. Ich will nicht sterben!

[home]
20
    L othar stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Nicht schlecht«, sagte er und inspizierte zwei Einschusslöcher in der Rückwand des Busses. »Ihr habt ziemliches Glück gehabt.«
    »Das kann man wohl sagen.« Ingrid hatte immer noch weiche Knie. Mit dem mehrstimmigen Kreischen ihrer Freunde als Untermalung war sie wie eine Besessene Stunde um Stunde die Straße entlanggejagt und hatte sich erst wieder beruhigt, als sie die Vororte von Kandahar erreichten und sie wenig später endlich in den Hof eines einfachen Hotels steuern konnte. Lothar und seine Freundin Sabine, beide gebürtige Bayern, die im selben Hotel logierten, hatten gerade das Gebäude verlassen und die Neuankömmlinge enthusiastisch begrüßt.
    Lothar kratzte seinen beachtlichen Bart. »Ihr seid nicht die Ersten, denen so etwas passiert. Die Typen haben euch das Kamel mit voller Absicht vor den Wagen getrieben, um euch zum Anhalten zu zwingen, und ich befürchte, dass wir auch in Zukunft nicht vor Überfällen sicher sind. Was meint ihr« – er wandte sich direkt an Achim, den er sofort als ihren Anführer identifiziert hatte –, »wollen wir im Konvoi nach Indien fahren?«
    Achim zuckte die Schultern. »Meinetwegen gerne«, sagte er und schenkte Lothars überaus hübscher Freundin ein strahlendes Lächeln. Sabine strahlte zurück, ein Versprechen in den Augen. Ingrid schüttelte resigniert den Kopf. Die Konstellation stank drei Meilen gegen den Wind nach Ärger. Der trotz seines

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