Im Tal des Vajont
ist das Haus schnell fertig aufgebaut. Derjenige, dem man geholfen hat, gibt dann, wenn er kann, bei Bedarf den anderen jeweils einen vollen Arbeitstag zurück. Wenn wir also vierzig sind, muss derjenige, dem wir geholfen haben, vierzig Tage, jeweils einen für jeden von uns, arbeiten, aber dafür ist sein Haus dann schon fertig. Und so halten wir es unterschiedslos mit allen, die Hilfe brauchen, auch bei den Waldarbeiten oder beim Heuen.
Raggio wollte heiraten und brauchte ein neues Haus, da sein bisheriges so klein war, dass nicht einmal die Schafe darin Platz hatten, und es stank nach den Tieren. Wie ich betrieb auch er Schafzucht und arbeitete manchmal als Waldarbeiter, aber er hielt sein Haus nicht sauber.
Dann, während wir sein neues Haus hochzogen, geschah das Unglück. Einige waren zu den Libri von San Daniele unterhalb des Gipfels vom Monte Borgà hinaufgestiegen, um von dort auf Schlitten die Steinplatten für Mauerwerk, Dach und Boden des Erdgeschosses herunterzuschaffen. Dazu benötigte man für den Hin- und Rückweg einen ganzen Tag. Einer lud die Platten auf, ein anderer die Tür- und Fensterpfosten, die Jaco dal Cuch dann so kunstvoll behaute, wie nur er es konnte. Zuletzt musste noch der Larín, bestehend aus vier großen Steinblöcken für den Herdbau, herunterbefördert werden. Den Abschluss unseres Schlittenzugs bildete Nacio Baldo Filippin, stark wie ein Zugpferd, aber er redete nie. Als alle unten im Dorf angelangt waren, merkten sie auf einmal, dass Baldo fehlte. Und selbst nach einer Stunde Warten tauchte er nicht mehr auf. Besorgt gingen sie noch einmal den Berg hinauf, denn auch wenn der Schlitten zu Bruch gegangen wäre, wäre er doch ohne ihn ins Dorf zurückgekommen. Man fand ihn schließlich tot in der Foiba von Pian de Pez. Sein Schlitten war von einem großen Stein so abrupt abgebremst worden, dass der quer geladene Felsblock nach vorne rollte und den armen Nacio unter sich begrub. Es war ein Block von ungefähr anderthalb Metern Länge und vierzig mal vierzig Zentimeter dick, der sich ihm da auf die Schulter wälzte und ihn zerquetschte wie einen Marder das Fangeisen. Sie fanden ihn mit dem Gesicht zum Himmel gerichtet, denn der Stoß hatte ihm den Kopf weit nach hinten geschleudert, als wollte er nachschauen, was geschehen war. Darauf wollte Raggio den Steinblock nicht mehr, der Nacio Baldo getötet hatte und nun mit seinem Blut befleckt war. So ging Fermin de Ruava von Neuem hinauf, einen anderen Stein besorgen, aber bevor er ihn wieder mit dem Schlitten ins Tal brachte, sicherte er ihn diesmal mit Stricken, damit es ihm nicht so erginge wie dem armen Baldo. Seit diesem Vorfall befestigten alle ihre Pfosten zum Transport mit Stricken, um nicht so wie Nacio zu enden, aber bis dahin hatte noch keiner je die Pfosten gesichert, immer nur quer aufgeladen, und das war immer gutgegangen.
Im ganzen Dorf war Nacio Baldo für seine Stärke bekannt, und wenn dieser Steinblock ihm nicht das Rückgrat gebrochen und die Rippen nach vorn aus dem Fleisch herausgepresst hätte, wäre er sicher wieder unter dem Stein hervorgekrochen. Jetzt aber war er wie ein durchgesägter Stamm zu keiner Bewegung mehr fähig. Dabei war er bärenstark gewesen. Nach dem Begräbnis erzählte mir der alte Felice Mela, er wäre einmal mit Nacio Baldo in die Gegend von Conegliano gegangen, um Kartoffeln gegen Hirse zu tauschen. Dort gerieten sie dann auf den Hof eines Landgutes, wo gerade zehn Bauern miteinander wetteten, wer wohl den Steinring des Brunnens hochstemmen könne. Als Preis winkte ein Eimer Wein. Alle versuchten es, aber keinem gelang es. Da trat der alte Mela vor, und noch bevor er nach der Hirse fragte, wollte auch er versuchen, den Ring des Brunnens hochzubewegen. Ja bitte!, ermutigten ihn die Bauern. Der alte Felice Mela stellte sich breitbeinig auf, griff mit beiden Händen unter den Ring und hob ihn wenigstens zehn Zentimeter hoch. Damit hatte er den Eimer Wein gewonnen und wollte gleich zusammen mit Nacio Baldo eine Schüssel davon trinken. Aber Nacio sagte, zuerst wolle auch er noch versuchen, den runden Brunnenstein zu heben. Und so wurde auch er dazu eingeladen. Baldo packte den Ring mit seinen beiden Händen und hob ihn vom Brunnen auf, als wäre es ein Armvoll Heu. Dann stellte er ihn auf wie das Rad eines Fahrrads, hockte sich davor nieder, lud ihn sich auf den Rücken und begann wie nichts damit auf dem Hof herumzugehen und fragte die umstehenden Bauern, wo er ihn nun hintragen solle. Die
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