Im Tal des Vajont
denn sie waren ja schließlich ordentlich verheiratet. Aber würde sie von mir schwanger werden, sagte ich, dann wäre es mein Kind, und ich würde nicht wollen, dass sie einen anderen zum Vater erklärt. Sie antwortete, sie würde mir dann einfach nicht sagen, ob es meins wäre oder nicht. Genauso gut könnte es ja auch von ihrem Mann sein, das sei schließlich schon oft genug vorgekommen, dass zwei Eheleute auch Jahre nach der Heirat noch ein Kind bekämen. Raggio selbst sei erst auf die Welt gekommen, nachdem seine Eltern schon zehn Jahre lang verheiratet waren. Darauf erwiderte ich, dass es nicht ausgemacht sei, dass Raggios Vater wirklich sein Vater ist, schließlich hatte ja seine Mama zehn Jahre lang keine Kinder bekommen. Doch wessen Sohn Raggio immer auch sei, sagte sie, in jedem Fall hätte seine Familie ihn wie einen lang ersehnten Engel aufgenommen, weshalb er auch Benvenuto getauft und dann Raggio genannt wurde, weil er ihr Haus wie ein frisch einbrechender Sonnenstrahl erleuchtet hatte.
Inzwischen war es dunkel geworden, und sie machte sich auf den Heimweg, von plötzlicher Wut ergriffen, wie immer, wenn wir es vorher miteinander hatten. Ich fragte sie noch, was wohl ihr Mann darüber denke, wenn sie so spät heimkomme, worauf sie nur entgegnete, dass sie ihm sagen würde, sie sei noch zum Ziegenzählen im Zemolatal gewesen.
Wieder ließ sie sich eine Zeit lang nicht mehr blicken, und wieder erschien sie auch nicht in der Molkerei zum Waschen des Käsekessels. Ich ging dagegen täglich zur Molkerei, und ich fühlte mich jedes Mal schlecht, wenn Raggio mir zur Begrüßung voller Herzlichkeit ein Stamperl von seinem Grappa einschenkte, während ich es als Dank mit seiner Frau trieb. Ich traute mich nicht mehr, ihm in die Augen zu sehen, und er muss auch etwas gemerkt haben, denn eines Tages fragte er mich, weshalb ich immer so ernst, mit niedergeschlagenen Augen herumginge. Ich antwortete ihm, dass ich, so ganz allein ohne irgendjemand, eine traurige Zeit durchmachen würde, und genauso erginge es auch meinem Bruder Bastianin, alle beide seien wir ohne irgendjemand, ganz allein. Worauf Raggio mich damit zu trösten versuchte, dass alles vorübergehe und die Zeit alles wieder richten werde, man müsse nur Geduld haben, dann würde auch ich früher oder später eine Frau finden, die mich aufheitere, auch er, Bastianin, hätte ja schließlich eine gefunden. Aber dazu müssten wir unsererseits auch etwas mehr aus uns herausgehen, wir seien ja wie wilde Tiere, wie die Steinmarder, zu scheu und misstrauisch, zu sehr mit uns selbst beschäftigt, als dass die Frauen sich ein Herz nehmen und uns entgegenkommen würden. »Ihr verhaltet euch so, als hätten euch die Frauen arg mitgespielt«, brummelte er. Er habe ja recht, sagte ich ihm, es sei vielleicht wirklich unsere Schuld, wenn sich keine Frau auf uns einließe, aber in die Augen konnte ich ihm dafür immer noch nicht blicken. Armer Raggio, wenn er gewusst hätte, dass ich ja schon eine Frau hatte und es ausgerechnet seine eigene war, wer weiß, was er gemacht hätte.
Eines Morgens in der Molkerei, als ich Raggio so vor mir sah, wie er mit dem Rücken zu mir sich über den Rand des Dreihundert-Liter-Kessels beugte, um mit beiden Händen das Lab mit der Milch zu verrühren, da schoss mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf, ihm den Kopf unter die Milch zu drücken und ihn zu ertränken. Es war nur für einen Augenblick, doch danach zitterten mir gleich die Beine bei der Vorstellung, so etwas auch nur gedacht zu haben. Um das Ganze schließlich ins Lächerliche zu ziehen, überlegte ich bei mir, wäre es ja eh nicht richtig gewesen, Raggio in Milch zu ersäufen, wo er doch ausschließlich nur Wein und Grappa trank, aber gedacht hatte ich es trotzdem, und das war nicht gut.
Diese vermaledeite Hexe hatte mich mit ihrem magischen Blick tatsächlich so weit gebracht, dass ich daran dachte, Raggio umzubringen, um sie ganz für mich zu haben. Nur Hexen können einen so weit bringen, das heißt den Männern so den Kopf verdrehen, wie man Eschenzweige zu Schnürbändern dreht. Und sie musste eine Hexe sein, niemand sonst hätte mir derart den Kopf verdrehen können.
Dann kam der Herbst, und ich traf sie noch einige Male, immer dann, wenn wir sicher waren, dass Raggio sich nicht in der Nähe aufhielt. Der erste Mitwisser unserer Affäre sollte mein Bruder Bastianin werden, als er eines Abends unerwartet zu mir heraufkam und sie aus meinem Stall heraustreten sah.
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