Im Tal des Vajont
Er nahm mich zur Seite und sagte mir, ich solle mir gut überlegen, was ich da täte, in solchen Dingen sei mit Raggio nicht zu scherzen, denn wenn er es erführe, würde er mir mit der manéra , der Holzfälleraxt, den Kopf wie eine Distelblüte abschlagen. Aber nein, da täusche er sich, sagte ich ihm, sie sei nur gekommen, um mich nach etwas Salz für ihre Ziegen zu fragen. Daraufhin machte er ein Gesicht, wie um zu sagen, für wie dumm hältst du mich, dann erwiderte er, dass es jetzt ja nicht gerade die richtige Tageszeit sei, um Ziegen Salz zu geben, eher wohl für etwas anderes, und wenn sie wirklich Salz bräuchte, würde sie es am folgenden Tag bei sich zu Hause holen, wo sie einen Krug mit zehn Kilo haben. Dann wiederholte er, ich möge nur aufpassen, und sprach nie wieder darüber.
Im November ging ich mit Raggio zum Holzfällen hinunter in das Zemolatal. Während wir das Holz in der Nähe der Seilbahn aufstapelten, gestand mir mein Freund, dass er sich wegen seiner Frau Sorgen mache, so hätte er sie in einer Nacht dabei beobachtet, wie sie mit dem Messer zum Schweineschlachten in der Hand durchs Haus geirrt sei. Und als er sie dann fragte, was machst du mit dem Messer, war sie wie aus einem Traum aufgewacht und ließ es zu Boden fallen. Ich sagte, dass sie vielleicht Nachtwandlerin sei und man sich darüber keine großen Sorgen zu machen brauche, aber Raggio antwortete nichts darauf und stapelte weiter das Holz.
Eines Morgens, es war an einem der ersten Dezembertage, machte ich mich mit Raggio daran, eins meiner beiden Kälber zu schlachten, von denen ich nur das Weibchen behalten wollte. Es lag schon Schnee und war kalt, deshalb hatten wir im Hof gleich neben dem Stall ein Feuer entzündet. Ein großes Feuer, das die halbe Umgebung mitwärmte, und so waren auch einige Bauern neugierig aus ihren Häusern gekommen, um sich bei einer Schale Glühwein aufzuwärmen. Raggio ließ das Kalb durch einen Stich mit dem Messer zum Schweineschlachten ausbluten. Es ist nicht einfach, ein Kalb ausbluten zu lassen, während es dich mit seinen Kinderaugen ansieht, und Raggio tat sich schwer, die Klinge tief bis zum Griff in die Kehle des armen Tiers zu stoßen. Es war seine Aufgabe, denn ich hatte nicht den Mut dazu, da es mein eigenes Kalb war. Im Gegenzug würde ich dann eines seiner Kälber schlachten, wenn es so weit war. Kälber zu schlachten gehörte zum Schwersten überhaupt, wo sie doch schön anzusehen waren mit ihren Kinderaugen, aber man musste ja schließlich essen und nicht nur essen, man brauchte auch das Lab zum Käsemachen, und das Lab macht man halt mit den Hodensäcken der Kälber. So musste notwendigerweise hin und wieder eins geschlachtet werden, auch wenn man kaum Mut dazu hatte, andernfalls gab es kein Lab und ohne Lab auch keinen Käse. Um ein gutes Lab zum Verdicken der Milch zu erhalten, muss der Hodensack des Kalbs wenigstens ein Jahr, noch besser sind zwei, unter dem Rauchfang des Kamins im Rauch abhängen. Raggio räucherte nicht nur die kleinen Hoden, sondern auch einen Teil des Kalbsmagens, denn auch der ergab gutes Lab. Das war ein dunkles Magenstück, das er vor dem Räuchern in den Sack dazusteckte.
An diesem Tag, als wir das Kalb schlachteten, wurde mir zugleich auch klar, wie gefährlich Raggios Frau war. Sie war morgens dazugekommen, aber ohne ein Wort zu sagen. Als wir dann das Kalb an den Beinen aufgehängt hatten, um ihm das Fell abzuziehen und die Hoden für das Lab abzuschneiden, nahm sie unversehens ein Messer vom Tisch, stürzte blitzschnell zum aufgehängten Kalb, und mit bloß einem Schnitt hatte sie auch schon die Hoden abgeschnitten. Die warf sie dann auf den Tisch und sagte, dass man mit den Männern genauso verfahren müsste wie mit dem Kalb, also ihnen die Eier abschneiden. Ich versuchte das Ganze noch ins Lächerliche zu ziehen, indem ich sagte, dass ich nicht sicher sei, dass die Dinger, die wir zwischen den Beinen hätten, auch gutes Lab ergeben würden, aber sie lachte überhaupt nicht und wiederholte nur, sie gehörten trotzdem, Lab hin, Lab her, von allen Männern dieser Welt abgeschnitten.
Raggio schickte sie wütend fort, worauf sie noch das Messer zum Hodensack auf den Tisch warf und verschwand. Da dachte ich bei mir, dass ich, falls ich es noch einmal mit ihr treiben sollte, ganz gewiss darauf achten würde, dass nicht irgendwo ein Messer herumliegt oder sie eins unter ihrem Kleid verbirgt. Bei ihr konnte man nie wissen, mit ihren funkelnden Augen einer
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