Im Tal des Vajont
nahm die Krone ab, legte sie auf den Küchentisch und bekreuzigte sich. Der Priester segnete das Haus und wartete noch, dass der Hausherr, wie alle, ihm etwas als Spende gebe. Raggio zog fünf Eier aus einer Lade, doch dann erinnerte er sich an den großen Käselaib im Zimmer, den seine Frau hergestellt hatte und jeden Tag pflegte; mit einer nie gesehenen Hingabe bürstete ihn die Frau, reinigte ihn mit Wasser und Salz, trocknete ihn, kratzte mit der Messerspitze die schwarzen Löcher heraus und legte ihn zurück an seinen Platz auf das Bord. Jetzt war der Augenblick gekommen, ihn dem Priester zu geben.
So legte Raggio die Eier zurück in die Lade, rief einen der Messdiener mit dem Korb, nahm den großen Laib, trug ihn aus dem Zimmer und packte ihn in den Korb des Messdieners, dem unter dem Gewicht gleich die Beine einknickten. Das sei das Geschenk des Königs, sagte er zum Priester, für ihn und seine Armen, auch wenn es von diesen ja nicht viel gab im Dorf, aber einige gab es doch immer. Der Priester war es sehr zufrieden, bedankte sich bei Raggio, verabschiedete sich und ging seine Runde weiter.
Es war ungefähr vier Uhr nachmittags, als das geschah, was für das Dorf, nach schon so vielen Unglücken, das schlimmste sein sollte.
Don Chino war schreiend auf die Straße gelaufen, der Teufel sei im Pfarrhaus, Satan sei im Gotteshaus erschienen, aber er, der Priester, würde sie alle, ob Teufel oder nicht, ins Gefängnis werfen lassen, wo immer sie auch auftauchten.
Bei diesen Schreien hatte sich schnell eine ganze Schar Leute versammelt, und der Priester schrie weiter »Mörder!« mit Augen, die Angst erweckten. Man solle die Gendarmen rufen, damit sie all die Schuldigen ins Gefängnis werfen und die Komplizen jener Todsünde, die da plötzlich vor seinen Augen aufgetaucht sei. Auch ich ging hin, um nachzuschauen, was da passierte, und stieß unterwegs auf Raggio, der ebenfalls mit seinem Stab in der Hand auf dem Weg zum Pfarrhaus war, um zu sehen, was das für Schreie waren.
Als der Priester uns zwei sah, beruhigte er sich und sagte: »Kommt rein und schaut euch das an, dieses Mal kommt mir keiner ungeschoren davon, hier gehört einer endgültig ins Gefängnis, bis er verreckt, und danach, wenn er einmal verreckt ist, wird er zur Hölle fahren.« Darauf gingen zehn oder zwölf von uns, Männer und Frauen, ins Pfarrhaus hinein.
Was ich dort im Pfarrhaus sah, werde ich, solange ich lebe, nicht mehr vergessen, auch wenn ich weiß, dass ich nur noch wenig Zeit zu leben habe. Der Priester hatte den großen Käselaib zur Hälfte aufgeschnitten, um ihn an die Armen zu verteilen. Und im Käse drinnen lag da, wie ein Murmeltier zusammengerollt, ein winzig kleines neugeborenes totes Kind, weiß wie die Käsemasse. Und schon begann der Priester wieder zu schreien und mit dem Finger auf das Kind im Käse zu zeigen, da schaut die Sünde, schaut den Teufel, und sagte weiter, dass er uns alle ins Gefängnis bringen würde.
Mit einem Schlag war mir alles klar.
Diese feige Schurkin, diese Schlampe hatte mir alles verheimlicht. Jetzt verstand ich, warum sie sich eng einschnürte, Männerjacken trug und es auch nicht mehr mit mir machen wollte. Jetzt begriff ich, warum sie kotzen musste, wenn sie bei Pilin Wein trank. Sie trank absichtlich Wein, um dann sagen zu können, dass sie wegen des Weins kotzen musste, weil Frauen immer kotzen müssen, wenn sie schwanger sind. Und jetzt verstand ich auch, warum sie mir in der letzten Zeit möglichst aus dem Weg ging. Sie war von mir schwanger gewesen und hatte sich von niemandem etwas anmerken lassen, niemandem etwas gesagt. Und jetzt wurde mir auch klar, warum sie so versessen jenen vermaledeiten Käselaib pflegte und bürstete. Sie pflegte ihr Kind, das drinnen war. Sie hätte es auch im Mist verschwinden lassen können, aber dann wäre es nicht mehr bei ihr gewesen. Im Käse hingegen konnte sie es nah bei sich behalten, wie in einem anderen Leib, im Leib des Käses.
Als es so weit war, hatte sie ganz allein das Kind entbunden oder mithilfe irgendeiner alten Engelmacherin, wie die, die früher Maddalena Mora mit Stricknadeln entbunden hatte. Dann hatte sie es in den Kessel zur Käsemasse dazugelegt und darauf im Käselaib versteckt. Sie hatte schon im Voraus an alles gedacht, deshalb wollte sie auch das Käsemachen lernen und ganz allein den großen Käselaib ausziehen. So eine feige Schurkin. Ich schaute mir das Gesicht meines eingedickten Kindes an und war froh, dass ich es
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