Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Worte hatten die falsche Botschaft transportiert.
» Du kennst sie besser? «
» Ich… ihren Vater Anthony « , beeilte Liam sich zu sagen. » Er hat Henry MacDougal, einen Freund von mir, unterstützt, der Forschungen in Afrika betreibt. «
» Ich hätte nie gedacht, dass die Chesters jemals den Schritt wagen und ihr Vermögen auf diese Art aufbessern würden. Ich wusste gar nicht, wie ernst ihre Situation war. «
» Du warst schon fort, bevor es richtig schlimm wurde. Die Hungersnöte in Irland und Schottland ziehen den alteingesessenen Familien den Boden unter den Füßen weg, während die Landbevölkerung in die Städte strömt und die Fabriken ins Endlose wachsen. «
Adam nickte nachdenklich und schob Liam den Brief hin. Er öffnete ihn und starrte einen Moment wie versteinert auf die so vertraute Handschrift Johannas, deren Worte ihm früher alles bedeutet hatten. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Er fühlte sich wie ein Verräter. Warum musste dieser Brief ausgerechnet heute kommen und eine Wunde aufreißen, die gerade anfing zu heilen?
Es gab keine Zukunft für ihn und sie, niemals. Warum konnte Johanna nicht einfach verschwinden?
Liams Finger strichen über die blaue Tinte. Johanna wusste, dass er dort war, bei Adam. Irgendwie musste sie es herausgefunden haben. Von ihrem Vater war in dem Brief die Rede, von ihrem Ehemann und seiner Fabrik. All das schrieb sie an Adam und dessen Schwester Marina, die sie zuletzt vor beinahe vier Jahren getroffen hatte. Für Liam hatte sie einen kurzen Gruß parat, aber mehr brauchte es auch nicht.
Sie wollte ihn wissen lassen, dass sie von seiner Anwesenheitin New Plymouth wusste und sie noch immer an ihn dachte.
Liam schob den Brief hastig über den Tisch und kippte den Cognac hinunter. Der Alkohol brannte in seiner Kehle.
» Anscheinend wird bald halb London zu unseren Nachbarn gehören « , scherzte er und hustete, als habe er sich an seinem Drink verschluckt.
Adam nahm ihm seine Vorstellung ab, lachte und begann, bitterböse Vermutungen anzustellen, welche anderen adeligen Familien bald von ihrem hohen Ross herabsteigen und in die Kolonien gehen mussten.
Liams Gedanken kreisten nur noch um eines: Johannas letzte Worte. Wenn sie ihr zurückschreiben wollten, bat sie, die Post an die Adresse einer gewissen Abigail Maunga in Urupuia zu senden, da ihr eigenes Haus angeblich zu abgelegen war. Eine einfache Lüge, um zu verhindern, dass ihr Ehemann einen Brief las, der für sie bestimmt war. Kein Zweifel! Sie wollte, dass er ihr schrieb!
Urupuia
S ie waren früh am Morgen aufgebrochen. Zu Johannas Überraschung reisten sie auf dem Wasser, in einem der großen, verzierten Boote, die sie schon bei ihrer Ankunft in Neuseeland bewundert hatte.
Das Waka wurde von acht Männern gerudert. Eigentlich verfügte es über ein kleines Segel, und es wehte genügend Wind, doch die Männer schienen es zu genießen, mit kräftigen Ruderschlägen durch das Wasser zu pflügen.
Johanna saß neben Hariata am hinteren Ende des schlanken Gefährts und erinnerte sich an den zurückliegenden Abend. Es war wunderschön gewesen. Der Missionar, Hariata, sie und Abigail hatten zusammengesessen, und später gesellte sich Tamati zu der fröhlichen Runde. Father Blake und die Maori erzählten abwechselnd spannende Geschichten, wobei der Missionar aus der Bibel zitierte und Hariata und Tamati aus dem reichen Sagenschatz ihres Landes schöpften.
Der Anblick der glücklichen Abigail, die ständig unauffällig ihren Ehemann berührte, hatte sie ein wenig melancholisch werden lassen und Erinnerungen an Liam heraufbeschworen. Doch ihre Stimmung war nicht in ein verhängnisvolles Tief gekippt, dafür war der Abend zu schön gewesen. Es musste schon nach Mitternacht gewesen sein, als Tamati verkündete, dass er und Abigail ein Kind erwarteten. Er hatte dem Alkohol schon etwas mehr zugesprochen und brachte seine Freunde zum Lachen, als er lauthals die Zukunft seines Sohnes heraufbeschwor. Ein rothaariger Krieger sollte es werden, so Furcht einflößend, dass die Gegner vor ihm flohen, bevor er auch nur einen Kriegstanz angefangen hatte.
Schließlich waren Abigail und er nach Hause gegangen, und Johanna hatte sich mit vollem Magen und einem leichten Schwips vom Süßkartoffelschnaps zur Ruhe begeben.
Nun erinnerte sie die strahlend helle Sonne daran, dass sie es etwas übertrieben hatte. Seufzend rieb sich Johanna die Schläfen und lehnte sich auf ihrem gemütlichen Platz im Waka
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