Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
ohne die Packpferde.
Die Hufschläge donnerten über den Boden, Star fühlte genau, was ihre Reiterin wollte. Galoppieren, so schnell wie möglich, und die Kraft des Pferdes spüren. So lange reiten, bis der Wind ihre Tränen getrocknet hatte. Der Weg raste vorbei. Weidezäune, die Pfosten verschmolzen zu braunem Hitzeflirren vor Wiesengrün.
Johanna nahm den Weg zum See und ritt beinahe ein paar Männer um, die ein Netz mit glänzenden Fischen aus dem Wasser zogen. Grimmige, zerfurchte Gesichter, Mördergesichter?
Sie riefen ihr Verwünschungen nach.
Der Pfad ging aufwärts, sie ritt über einen Grat, immer weiter, bis ihr Pferd ermüdet in Schritt fiel und schließlich mit zitternden Flanken und schaumigem Maul auf der Hügelkuppe stehen blieb.
Johanna war außer Atem von dem anstrengenden Ritt und den zornigen Gedanken, die in ihrem Kopf dröhnten. Am liebsten wäre sie immer weiter geritten und nie wieder zurückgekehrt, doch das war unmöglich, und das wusste sie.
Der Blick in die Ferne beruhigte sie, dann fielen ihr die vielen Veränderungen auf.
Der Wald war weit zurückgewichen und nur noch als dunkler Streifen hinter den sanften Hügeln zu erkennen. Überall grasten Schafe, Rinder und Pferde. Es gab neue Hütten, deren Holz noch hell war und Wind und Wetter noch nicht getrotzt hatte.
In all diesen kleinen Häusern lebten die Männer, die Thomas hergebracht hatte. Alternde Walfänger, die zunächst nur die Zeit hier verbrachten, in der die Schiffe in den Häfen lagen, und nun auf Dauer sesshaft geworden waren. Begnadigte Sträflinge waren darunter, Vagabunden, die auf Thomas’ Befehle horchten. Die Frauen standen den Männern in nichts nach. Neben armen Siedlerfrauen wohnten hier Verbrecherinnen, die begnadigt worden waren und sicherlich Schlimmeres verübt hatten, als wie Abigail einen Scheffel Mehl zu stehlen.
Sie alle lebten auf dem Land, das nicht ihnen gehörte. Land, gepachtet von Thomas, der sich nun endlich mit dem Adel in England auf Augenhöhe sah. Großgrundbesitzer in einem selbst geschaffenen Reich, auf dem Land der Maori.
Und jetzt war wieder Blut geflossen.
Johanna merkte, wie sie zitterte, und rieb sich über den Arm. Sie fror, obwohl die Sonne hoch stand und von den Hängen warme Luft emporstieg. Raubvögel segelten im Aufwind.
Ihr Gefühl trog sie selten. Etwas würde passieren. Etwas Schreckliches. Das Unheil kam näher wie eine dunkle Wolke, die ihren kalten Schatten weit vorauswarf. Sie konnte ihm nicht entkommen.
Wie von allein wanderten ihre Gedanken zu Liam, dem sie nach ein paar Briefen verboten hatte, ihr weiter zu schreiben, weil sie zu feige war, seine Zeilen zu lesen. Weil sie den Schmerz fürchtete, den sie in ihr auslösten, und die Hoffnung, die immer wieder trotzig in ihr aufwallte und einfach nicht verstummen wollte.
Seine letzte Nachricht war bitter gewesen. Er hatte akzeptiert, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft geben konnte, und von einer jungen Frau berichtet, die nur darauf wartete, dass er sie ehelichte. Seine letzten Zeilen erschienen ihr wie ein Racheakt für ihre eigene Feigheit.
Johanna hatte einen Tag lang geweint und ihm dann viel Glück für seine Zukunft gewünscht.
Seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
Nun wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihn noch einmal zu sehen. Auszureißen und so lange zu reiten, bis sie bei ihm war.
In seiner Nähe, an seiner Seite würde sie sich sicher fühlen und sicher sein.
Johanna strich ihrer Stute über den verschwitzten Hals.
» Tut mir leid, Mädchen, dich hier heraufzujagen war nicht recht. «
Die Stute schnaubte, schüttelte sich und reckte mit hoch erhobenem Kopf die Nüstern in den Wind. Erstarrt zu einer lebenden Skulptur, schien sie etwas zu wittern, das ihr Angst machte.
» Siehst du wieder Gespenster? « , neckte Johanna sie, doch dann beschattete sie die Augen und spähte in die Ferne. Die Sonne schnitt scharfe Konturen aus Licht und Schatten ins Land.
Weit im Norden war gelbgrauer Dunst zu sehen, der sich wie ein bedrohlicher Schleier über die Hügel legte. Wie Rauch eines fast erloschenen Feuers. Der Brandherd musste groß gewesen sein.
Johanna versuchte, sich zu erinnern, ob Thomas einen Köhler im Norden erwähnt hatte, der ihn neuerdings belieferte. Die Dampfmaschinen in der Fabrik liefen Tag und Nacht und waren unersättlich nach Kohlen. Doch nein, er hatte nichts gesagt. Sie verbot sich, darüber nachzudenken, was der Rauch noch bedeuten konnte. Stand ein Krieg
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