Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Vielleicht kann ich mit ihnen reden, wenn es so weit kommt. «
» Du musst nicht… «
» Mrs Waters, kein Wort mehr. Ich bin die Letzte aus meiner Familie. Niemand wird um mich trauern, wenn meine Seele nach Hawaiki geht. Ich bleibe. «
Johanna umarmte ihre Freundin und fühlte, wie ihr Herz ein wenig leichter wurde.
» Wie viel Zeit haben wir noch? «
» Wenn sie die kleinen Farmen zerstören wollen, bleibt uns noch ein Tag, vielleicht zwei, wenn sie direkt herkommen, geschieht es heute Nacht. «
» Heute Nacht schon? «
» Ja. «
» Was soll ich tun, was müssen wir tun? «
Als Thomas von seiner erfolglosen Suche nach seiner Frau zurückkehrte, fand er das Anwesen in einem Zustand hektischer Betriebsamkeit vor. Gerade wurden die letzten Mutterschafe in die Ställe und Pferche getrieben. Die Pferde wieherten unruhig in ihren Boxen.
Johanna war im Hof und überwachte Ben, der das kleinere Seitentor mit einem Heuwagen versperrte, als sie an den Rufen der Männer vor dem Haupthaus erkannte, dass Thomas zurückgekehrt war. Im nächsten Moment jagte er auf seinem schweißnassen Rappen in den Hof, riss an den Zügeln, bis das Tier mit schlagendem Kopf stehen blieb. Als er Johanna entdeckte, beruhigte er sich ein wenig. Im Nu war er bei ihr und nahm sie herrisch in die Arme. Johanna wollte sich wehren, sie wollte die Liebe dieses Mannes nicht, doch sie hatte zu viel Angst, um allein zu sein. Einen Augenblick lang fühlte sie sich geborgen an seiner Brust, hörte sein wild schlagendes Herz.
» O Gott, was tust du nur, Johanna, wie konntest du einfach so davonreiten! «
» Du zerstörst unsere Zukunft mit deiner Gier und fragst mich, warum ich es hier nicht aushalte? « Ihre Wut kehrte zurück, die ihr die Kraft gab, sich aus seinen Armen zu winden.
Thomas’ Blick war der eines verstörten Tieres. Er bemerkte den Stapel aus Eimern und Gefäßen neben dem Brunnen, das versperrte Tor und die überfüllten Ställe.
» Was soll das alles? «
» Das hier ist mein Zuhause, Thomas. Unser Zuhause! Ganz gleich, womit du den Zorn der Maori herausgefordert hast, ich lasse es mir nicht wegnehmen oder zerstören! «
Thomas wollte ihr über den Arm streichen, doch sie wich hastig aus.
» So weit wird es nicht kommen, Johanna. Ich reite sofort mit den Männern los, sie haben keine Chance gegen uns. «
» Nein, du bleibst hier! Schick Arthur. Das hier ist dein Heim, ich bin deine Frau, du lässt mich jetzt nicht allein! « , sagte Johanna mit aller Überzeugung, die sie aufbringen konnte. In Wahrheit steckte etwas anderes dahinter. Sie wollte nicht, dass Thomas den Kampf suchte, Blut vergoss und sich noch weiter versündigte. Sie ahnte, dass ihm alles zuzutrauen war, wenn es um sein Land ging.
Thomas musterte sie, die Augen zu Schlitzen verengt, als wöge er jedes ihrer Worte ab. Schließlich nickte er.
» Gut, ich bleibe. «
Arthur war mit einem Großteil der Männer davongeritten, dorthin, wo Johanna das Feuer vermutete. Sie wünschte von ganzem Herzen, dass es nicht zum Kampf käme, aber sie wusste auch, dass die Zeit für Verhandlungen längst verstrichen war. Dennoch wollte sie es versuchen, mit Hariatas Hilfe. Vielleicht konnte sie den Frieden erkaufen. Sie war bereit, all ihre Schafe, die Tauschwaren, ja selbst ihr Pferd zu opfern, wenn nur kein Tropfen Blut mehr floss. Es konnte einfach so nicht weitergehen.
Die Abenddämmerung senkte sich mit trügerisch freundlichen Farbschleiern über das Land. Tauchte die Berge in Gold und ließ im Lake Tarapunga Spiegelbilder purpurroter Wolken entstehen.
Vielleicht ist dies mein letzter Abend, überlegte Johanna gefasst.
Alles, was sie vorbereiten konnten, war getan. Die Fenster im Erdgeschoss waren verbarrikadiert, und auf den Simsen im Obergeschoss lagen Waffen und Munition. Selbst Johanna trug einen Revolver bei sich, der wie Blei in ihrem Gürtel hing. Würde sie ihn benutzen und auf einen Menschen schießen, um ihr eigenes Leben zu retten? Hoffentlich würde sie das Schicksal nie auf die Probe stellen. Sie sprach ein schnelles Gebet und starrte weiter aus dem Fenster.
Nun war es fast dunkel. Das Schwarz breitete sich wie eine Armee von Geistern aus, kroch unter den Bäumen hervor, lauerte hinter jedem Hügel und jedem Fels. Schon jetzt schien das Warten beinahe unerträglich. Warum konnten sie es nicht einfach hinter sich bringen?
Johanna hob ihr Fernglas und schaute erneut hinaus. Weiden und Wege waren verwaist. Nichts, keine Bewegung, nicht einmal Vögel
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