Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
was sie sagen sollte. Die Bitte, Thomas zu verschonen, kam ihr nicht über die Lippen. Thomas’ dunkle Seite war nun endgültig ans Tageslicht getreten und ließ sich nicht mehr ignorieren oder schönreden. Er war ein Mörder, und das nicht erst seit dem Konflikt mit den Maori, er war es schon in London gewesen. Sie konnte Liam verstehen, doch Thomas war immer noch ihr Ehemann, so sehr sie ihn mittlerweile auch verabscheute.
» Du darfst dich nicht versündigen, du darfst nicht zum Mörder werden wie er… «
» Das verstehst du nicht. «
Johanna schwieg. Das Schlimme war, dass sie ihn verstand, und genau deshalb brachte sie kein weiteres Wort mehr heraus. Ziellos wanderten ihre Hände über Liams Brust. Er sollte nicht gehen. Sie strich über die goldglänzenden Knöpfe, verfolgte mit dem Blick Muster in den Stickereien der Aufschläge, weil sie fürchtete, wenn sie ihm in die Augen sah, in ihrem strahlenden Blau Hass zu entdecken.
Hass, wie ihn auch Thomas empfand.
» Ich liebe dich, Liam Fitzgerald, und ich wünschte so sehr, die Welt hätte es besser mit uns gemeint. «
Liam küsste sie auf das Haar und ging mit raschen Schritten davon. Seine Absätze schlugen schwer auf dem Holzboden auf, die Tür knarrte, und dann war er fort.
Johanna drehte sich einmal um sich selbst. Sie fühlte sich winzig, so allein wie seit Jahren nicht mehr.
Was sollte sie tun?
Schlafen konnte sie jetzt nicht mehr, wenngleich die Erschöpfung schwer wie Blei auf ihren Schultern lag. Liam hatte den Zauber ihrer Zweisamkeit mitgenommen und nur Kälte zurückgelassen.
Jetzt zu Thomas’ Krankenbett zu gehen, wäre wie Verrat. Aber sie konnte auch nicht in der Hütte bleiben, die noch nach der geteilten Lust roch, nach Liams Schweiß und seinem Rasierwasser. Es war ihr plötzlich alles zu viel.
Hastig stieg sie die beiden Stufen hinunter in den erwachenden Morgen. Das taufeuchte Gras unter den bloßen Füßen belebte sie neu. Ein aufgescheuchtes Huhn rannte davon und verschwand unter der nächsten Hütte.
Johanna nahm den Weg über den kleinen Friedhof, ihre Hand streifte ein verwittertes Holzkreuz, und stieg zur Kirche hinauf.
Thomas’ Zustand blieb in den nächsten Tagen unverändert. Die Wunden schlossen sich nur langsam. Das Fieber sank am Tag, nur um jeden Abend mit neuer Stärke zurückzukehren. Weder Father Blake noch die herbeigerufenen Maori-Heiler wussten Rat.
Trotz der vielen Untersuchungen war niemandem der hauchfeine Schnitt an der Kehle des Kranken aufgefallen, niemandem außer Johanna. Sie hegte keinen Zweifel am Ursprung der Verletzung.
Liam hatte an jenem Abend vor seinem Gewissen kapituliert, und sie dankte Gott jeden Tag, dass sich der Mann, den sie liebte, nicht versündigt hatte.
Johanna verbrachte viel Zeit an Thomas’ Bett. Teils aus schlechtem Gewissen, den Kranken zu betrügen, teils aus Pflichtgefühl gegenüber ihrem Ehemann. Sie dachte viel nach, horchte in sich hinein und fand ihr Herz schweigend. Sie bangte nicht um Thomas’ Leben, und sie wusste, ihre Trauer würde sich sehr in Grenzen halten, sollte Gott entscheiden, Thomas’ Seele zu sich zu holen. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit betete sie nicht. Sie konnte es einfach nicht. Nicht, nachdem sie erfahren hatte, dass Thomas auch schon in London gemordet hatte, und zwar ihretwegen, um sich einen lästigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Vielleicht linderte sie durch die vielen durchwachten Nächte ihr schlechtes Gewissen, weil sie Thomas mit Liam betrog, während er mit dem Fieber rang. Als sich Johanna nach Stunden, die sie wieder einmal an Thomas’ Bett gewacht hatte, mit schmerzendem Rücken erhob, um ein wenig Luft zu schnappen, wurde sie von Father Blake erwartet. Seine Miene war ernst.
» Ist etwas geschehen? «
» Wir müssen reden, mein Kind. Unter vier Augen. «
Er nahm Johanna am Arm und führte sie nach draußen. Übelkeit krampfte ihren Magen zusammen. Hatte er etwa von ihren heimlichen Treffen mit Liam erfahren? Sie schämte sich, dem Gottesmann gestehen zu müssen, dass die Gerüchte der Wahrheit entsprachen.
» Was gedenken Sie zu tun, wenn Ihr Mann wieder gesund ist oder Gott seine Seele zu sich geholt hat? «
» Was meinen Sie? « Sie musterte ihn verständnislos und erleichtert zugleich. Offenbar war er nicht wegen Liam gekommen.
» Es scheint so, als ob sich die Krieger zerstreuen würden und nicht zurückkommen. Sie haben ihre Rache, ihr Utu, gehabt und scheuen einen offenen Kampf mit den Soldaten. Wenn sie
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