Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
schließlich eine Schale mit Nüssen und Gebäck aus Süßkartoffelmehl vor Johanna hin.
Sie blieb stehen, begegnete dem Blick ihrer Freundin und rieb sich über die Arme, die mit mehreren dunklen verkrusteten Schnitten bedeckt waren. Sie hatte um Tamatis ermordete Verwandte getrauert, als sei sie eine echte Maori.
Johanna bemerkte ihre Unsicherheit. Abigail wollte ihr etwas sagen, schien aber nicht recht zu wissen, wie.
» Raus mit der Sprache, Abigail. Ich hab dir gerade meinen ganzen Kummer aufgehalst, und nun bist du dran. «
» Ach, ich überlege schon die ganze Zeit, ob und wie ich es Ihnen sagen soll. Tamati ist heute Nacht aufgebrochen, um Rache an den Mördern seiner Verwandten zu nehmen. «
» Ganz allein? «
» Nein, es ist jemand bei ihm,… Mr Fitzgerald. Ich wusste ja nicht… «
Johanna sprang auf und fasste Abigail an der Schulter.
» Sag, dass das nicht wahr ist! Warum verhaften sie die Leute nicht, warum… «
» Darauf hätte sich Tamati nie eingelassen. Er hat Utu geschworen, und soweit ich weiß, Ihr Liam auch. Und ich sage Ihnen, ich bin froh, wenn ich keine Angst mehr haben muss, von Arthur Remington bedrängt zu werden. «
» Arthur? Ist er dir noch einmal zu nahe getreten? «
Abigail schüttelte den Kopf.
» Ich bin ihm aus dem Weg gegangen, und seit der Heirat mit einem Maori bin ich womöglich nicht mehr gut genug für seine widerlichen Gelüste. Trotzdem macht er mir Angst. «
» Und jetzt hat er… «
» Ja, er und seine feige Bande von Mördern verbreiten im Auftrag Ihres Mannes Angst und Schrecken. Sie überfallen Einheimische und bringen sie auf grausame Art und Weise um, damit niemand mehr auf die Idee kommt, angestammtes Land zurückzufordern. Nachdem Waters verletzt wurde, haben sie trotzdem weitergemacht. Ich hoffe, Tamati und Mr Fitzgerald haben Erfolg. Sie sollten eigentlich längst zurück sein. «
Johanna merkte, wie sie tiefe Beklemmung beschlich. Sie fröstelte plötzlich. Tamati und Liam zu zweit gegen eine ganze Bande von Mördern. Wie sollte das gut gehen? Lebten sie? Waren sie am Ende verwundet und zu schwach, um zurückzureiten?
» Wir müssen mit Father Blake reden und mit dem Hauptmann. Jemand muss die Männer suchen! «
Abigail hielt Johanna am Arm fest, die aufgesprungen war und aus dem Haus stürmen wollte.
» Nein! Wir bleiben hier und warten. Wollen Sie, dass Mr Fitzgerald im Gefängnis endet? Er ist sicher nicht mit Erlaubnis seines Vorgesetzten aufgebrochen, um Selbstjustiz zu üben! «
» Nein… nein, du hast recht. « Johanna seufzte und sank zurück auf ihren Stuhl. Sie konnte doch jetzt nicht herumsitzen und warten, während Liam womöglich irgendwo lag und verblutete! Sie hatte schon genug verloren und war nicht bereit, um noch jemanden zu trauern. Aufwallender Zorn vermischte sich mit der Angst um den Geliebten. » Wir müssen doch etwas tun! «
In diesem Moment erklang draußen ein Ruf.
Ein Lächeln huschte über Abigails Gesicht, glättete die Sorgenfalten und verwandelte sich in ein Strahlen.
» Tamati! «
Johanna folgte der Freundin zur Tür.
Gerade ritt Tamati auf der kräftigen Shire-Stute, die Johanna ihm vor einer Weile geliehen hatte, den schmalen Weg hinauf. Dicht gefolgt von Liam. Ohne seinen roten Uniformrock, in schlichten braunen Hosen und Jacke, sah er wie verwandelt aus. Beim Reiten stützte er einen Maori-Speer auf den Fuß. Am Sattel baumelten zwei große grün schimmernde Vögel. Jeder, der ihn so sah, würde denken, dass er mit einem Freund zur Jagd ausgeritten war.
Tamati zügelte die Stute und saß ab. Nachdem er ein paar Worte mit seinem Vater gewechselt hatte, umarmte er Abigail.
Johanna stand da und starrte Liam an, der sie in diesem Moment ebenfalls bemerkte. Beim Blick in seine blauen Augen tat ihr Herz einen heftigen Satz. Er lebte, und es ging ihm gut!
Zögernd trat sie zu ihm und strich über Cassios samtenes Fell, weil sie nicht wagte, Liam zu berühren. » Habt ihr… « Sie brachte die Frage nicht zu Ende.
Er nickte.
» Ja, und ab heute werden wir nie wieder ein Wort darüber verlieren. Das Morden in den Tälern wird aufhören. Bald kannst du in dein Haus zurückkehren. «
Johanna schluckte. Vielleicht wollte sie gar nicht in ihr Haus zurückkehren, denn das hieße, Liam nicht mehr wiederzusehen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schob er seine Hand unter der Mähne seine Pferdes in ihre und sagte: » In einigen Tagen kehren wir in die Kaserne nach New Plymouth zurück, Johanna. Aber ich
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