Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
einem anstrengenden Marsch, der durch den finsteren Wald stetig bergauf geführt hatte, tauchten vor ihnen aus dem Dunkel Palisaden auf. Es waren die verwitterten Überreste einer alten Maori-Festung. Erleichtert stellte Liam fest, dass die hölzerne Wehrmauer zur Hälfte eingebrochen war. Dahinter erhob sich ein schlichtes Blockhaus aus den Ruinen einer weit größeren Anlage. Drei Pferde standen in einem kleinen Pferch und sahen ihnen mit gespitzten Ohren entgegen.
Tamati berührte Liam an der Schulter.
» Ein Wachposten « , flüsterte er so leise, dass es kaum zu verstehen war, und wies zu einem Haufen moosüberwucherter Stämme, die wie ein Kartenhaus zusammengefallen waren. Liam erahnte sofort, wo sich der Mann verbarg.
Blitzte da ein Gewehrlauf im Mondlicht? Tamati bedeutete Liam zu warten, bis er den Wachposten ausgeschaltet hatte. Er wollte protestieren, doch da war der Maori schon zwischen dichtem Farn verschwunden. Träge winkende Wedel waren das Einzige, was seine Anwesenheit verriet.
Bereit, dem Maori Deckung zu geben, legte Liam sein Gewehr an die Schulter und zielte dorthin, wo er den Gegner vermutete. Eine Weile geschah nichts, dann erhob sich Tamati plötzlich aus der Deckung. Der erste Schlag seines langen Knüppels galt dem Gewehrlauf, der zweite traf den Wachposten. Liam kannte das Geräusch nur zu genau, dumpf und knirschend. Seit seinem ersten Gefecht hatte sich der Ton brechender Knochen unabänderlich in sein Bewusstsein gebrannt.
Als er zu Tamati trat, hatte der dem Verwundeten bereits mit einem Schlag auf den Kopf getötet. Mitleidlos blickte Liam auf das verzerrte, blasse Gesicht des Toten.
Sie nahmen die Waffen an sich, deckten den verrenkten Körper mit ein wenig Laub zu und setzten ihren Weg fort. Lautlos näherten sie sich dem Gebäude von der fensterlosen Seite.
Zum Glück stießen sie weder auf Hunde noch auf weitere Wachposten. Alles war ruhig. Die Männer schienen zu schlafen. Liam zweifelte für einen Moment. Wie sollten sie weiter vorgehen? Hineinzuschleichen und die Übeltäter im Schlaf zu erschlagen, widersprach seinem Ehrgefühl, ganz gleich, ob es sich hier um eine Bande von Mördern handelte. Es schien, als würde er Duncan so um die geschworene Rache betrügen.
Tamati erging es offenbar ähnlich. Er hob ein Scheit auf, das neben einem Hackklotz liegen geblieben war, und warf es zielgenau zwischen die dösenden Pferde im Paddock.
Die Tiere stoben panisch auseinander. Eines stieg und durchbrach den morschen Zaun mit gewaltigem Lärm. Die Pferde flohen eines nach dem anderen durch die entstandene Lücke in der Umzäunung. Wie Geister tauchten sie in die Dunkelheit und verschmolzen mit ihr.
Das Haus erwachte. Ein Mann brüllte Befehle. Kein anderer als Arthur Remington gab die Order, nach den Pferden zu sehen.
Liam und Tamati hatten sich beiderseits der Tür aufgestellt. Gleich war es so weit. Sie tauschten einen Blick, und Liam hob seinen Maori-Speer zum Stoß. Rachegelüste brachten sein Blut zum Kochen. Drinnen polterte es.
Im nächsten Moment flog die Tür auf. Zwei Männer kamen heraus und blieben stehen, sobald sie das Fehlen der Pferde bemerkten.
Liam reagierte blitzschnell. Es trennten ihn nur wenige Schritte von seinem Gegner. Der Mann hörte ihn im letzten Moment und fuhr herum. Ein junges unrasiertes Gesicht, vor Entsetzen geweitete braune Augen. Dunkle Haare standen ihm wirr vom Schlaf in alle Richtungen. Seine Reaktion war zu langsam, und es gelang ihm nicht mehr, die Pistole zu ziehen. Als seine Hand den Griff berührte, schwang Liam den Maori-Speer herum und traf den Mann mit dem stumpfen Ende am Kopf. Der Angegriffene stolperte zurück und versuchte, den nächsten Hieb mit den Händen abzuwehren. Das Holz schmetterte gegen seine Unterarme. Er schrie eine Warnung an Arthur. Liam zögerte nicht länger. Er ließ die Waffe kreisen, bis die Spitze nach vorn wies und rammte den Speer in den Körper des Fremden. Die erschrockenen Augen waren plötzlich verschleiert, der Mund des jungen Mannes öffnete sich für einen Schrei, doch vergeblich.
Für ihn endete es hier. Bevor Liam Zeit hatte, sein Opfer zu bedauern, forderte sein Rachedurst seine volle Aufmerksamkeit.
Arthurs Schritte waren zu hören, dann ertönte ein Knall. Die Kugel zischte so nah an Liams Gesicht vorbei, dass er den Luftzug spüren konnte. Hastig duckte er sich hinter den Sterbenden mit dem vom Schlaf zerzausten Haar, der noch immer dastand und den Speer in seinem Leib mit beiden
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