Im Taumel der Herzen - Roman
umgehen mussten, statt weiter schweigend ihr Abendessen einzunehmen.
»Dein Bruder isst auch nicht mit uns?«, erkundigte sie sich, während der erste Gang, frischer Fisch mit Kräutersahne, aufgetragen wurde.
»Er ist nicht hier«, antwortete Richard sichtlich enttäuscht. »Mathews anderer Großvater hatte geschäftlich in Manchester zu tun. Er hat die beiden eingeladen, dort ein paar Tage mit ihm zu verbringen. Er ist der Herzog von Chelter, wie du vielleicht weißt.«
»Ja, das ist mir bekannt. Meine Familie war zu Charles’ Hochzeit eingeladen. Hast du das vergessen?«
»Ich schätze mal, du hast vergessen, dass ich an jenem Tag nicht anwesend war.«
»Stimmt, das war mir in der Tat entfallen. Warum warst du nicht auf der Hochzeit deines Bruders?«
»Weil ich nicht mit ansehen wollte, wie er einen solch schweren Fehler beging. Er konnte seine Frau schon vor der Hochzeit nicht ausstehen, musst du wissen.«
Das klang so sehr nach ihrer eigenen Situation, dass es sie
beide ernüchterte. Trotzdem wollte Julia das nicht so stehen lassen. »Ich weiß nur noch, dass sie eine sehr schrille Stimme hatte.«
»Du brauchst kein Blatt vor den Mund zu nehmen, mein Liebling. Lady Candice hat gequiekt wie ein Schwein.«
Julia wäre fast an ihrem Fisch erstickt. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Als ich ein Kind war, fand ich ihre Stimme in der Tat ziemlich einzigartig, aber wir wollen doch nicht gehässig sein. Wahrscheinlich war mit ihren Stimmbändern etwas nicht in Ordnung.«
Er starrte sie einen Moment lang an. »Du meinst, ein Geburtsfehler? Verdammt, auf diese Idee bin ich nie gekommen! Aber darüber hinaus war sie eine chronische Nörglerin, und das wird einem nicht schon in die Wiege gelegt.«
»Da hast du wohl recht.« Julia grinste ihn an. » Aber sie war nicht gerade hübsch …«
»Denk an das Blatt vor dem Mund!«, unterbrach er sie, nun seinerseits grinsend.
Sie nickte zustimmend. »Also gut, sie war ziemlich hässlich, zusätzlich mit dieser seltsamen Stimme geschlagen und nicht in der Lage, einen Mann zu finden. Ich würde sagen, sie hatte allen Grund, sich zu beklagen.«
»Hältst du zu ihr, weil du eine Frau bist?«, fragte er neugierig.
»Nein, ich versuche nur, sie aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.«
»Was hältst du von folgendem Blickwinkel?«, meinte er, während er ihr ein Stück von seinem Fisch reichte: »Arme und kranke Menschen haben einen Grund, sich zu beklagen. Sie dagegen war die Tochter eines Herzogs und hoffnungslos … verzogen.«
Julia fragte sich, warum er eine Pause eingelegt hatte. Bis sie plötzlich bemerkte, dass er sie mit einem Gesichtsausdruck
anstarrte, der fast wie hypnotisiert wirkte. Er fütterte sie schon die ganze Zeit von seinem Teller, wie Verliebte das gern taten. Julia fand, dass das ein guter Beitrag zu ihrem Schauspiel war, und reagierte entsprechend, indem sie so tat, als wäre sein Essen viel besser als das ihre, und jedes Mal eine verträumte Miene aufsetzte, wenn er ihr einen Bissen reichte. Der Ausdruck, mit dem er sie nun ansah, wirkte wesentlich hitziger.
Richard bestätigte sogar, in welche Richtung seine Gedanken sich bewegten: »Gleich werfe ich die beiden hinaus und vernasche dich zum Abendessen.«
Julia wurde plötzlich sehr warm, und sie empfand ein angenehmes Flattern im Bauch, fast als schlüge ihr Magen Saltos. Dabei meinte Richard es noch nicht einmal ernst! Obwohl sie das wusste, musste sie gegen den Drang ankämpfen, sofort auf seinen Schoß zu springen und ihm die Arme um den Hals zu schlingen. Doch nachdem er es so laut gesagt hatte, dass die beiden männlichen Bediensteten es zwangsläufig hörten, wurde sie nicht so rot, wie sie geworden wäre, wenn es sich nicht nur um eine weitere seiner »Demonstrationen« gehandelt hätte.
Wie sollte sie darauf reagieren? Was antwortete eine liebende Frau auf eine solch provokante Äußerung? Julia hatte so ein Gefühl, die richtige Antwort könnte lauten: »Benimm dich — bis später!«
»Nach einem solchen Versprechen kann ich mich vielleicht noch eine Weile beherrschen«, erwiderte Richard mit einem verführerischen Lächeln.
Gütiger Gott, hatte sie das tatsächlich laut gesagt? Sein Grinsen – diesmal eindeutig ein echtes – ließ keinen Zweifel daran, dass er von ihrem Beitrag zur »Demonstration« recht angetan war.
Nicht zuletzt diese Tatsache versetzte Julia in die Lage, zu ihrem ursprünglichen, unverfänglichen Gesprächsthema zurückzukehren,
auch wenn
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