Im Taumel der Herzen - Roman
vor, es ihr zu verraten, sondern starrte sie nur mit ausdrucksloser Miene an. Wie ärgerlich! Ihr war keineswegs entgangen, dass er gar nicht gefragt hatte, wen sie denn mit Richard meinte. Demnach kannte er seinen richtigen Namen. Kannte Gabrielle ihn womöglich auch? Hatte sie
ihn absichtlich nicht erwähnt, als sie über Jean Paul gesprochen hatte? Wie peinlich, wenn beide wussten, warum Richard untergetaucht war!
Ungeduldig erklärte sie dem Mann: »Egal, dann klopfe ich einfach an jede Tür. Viel mehr als ein paar kann es hier ja nicht geben.«
»Es ist gleich die erste oben an der Treppe, aber wenn Sie eine Waffe bei sich haben, müssen Sie die vorher bei mir abgeben, sonst kommen Sie nicht an mir vorbei.«
Julia lief knallrot an. Dieser Mann wusste also tatsächlich Bescheid. Bestimmt hatte Richard alles auf sie geschoben. Sie führte in der Tat eine Waffe mit sich, hatte aber gewiss nicht vorgehabt, sie zu benutzen, um Richard von ihren Argumenten zu überzeugen.
Obwohl sie sich kleidete wie eine echte Dame und deshalb auch oft für eine solche gehalten wurde, legte sie nur dann auf entsprechende Begleitung Wert, wenn sie ein Fest in vornehmen Kreisen besuchte, wo einfach erwartet wurde, dass eine alleinstehende Frau in Begleitung ihrer Anstandsdame erschien, oder wenn sie wie jetzt eine längere Reise unternahm. Ansonsten war sie in London oft allein unterwegs oder nahm zur Regelung rein geschäftlicher Angelegenheiten höchstens ihren Sekretär mit. In beiden Fällen aber hatte sie sich angewöhnt, sicherheitshalber eine Pistole mit sich zu führen. Sie bewahrte sie in dem kleinen Köfferchen auf, das sie nie aus der Hand gab und das immer auch frische Kleidung zum Wechseln enthielt.
Da sie nun viel zu ungeduldig war, um das Gepäckstück nach der Waffe zu durchwühlen, drückte sie Richards Begleiter einfach den Koffer in die Hand, ehe sie sich an ihm vorbeischob und nach oben eilte. Erleichtert stellte sie fest, dass er ihr nicht folgte. Oben gab es nur zwei Türen, beide auf derselben Seite des kurzen Korridors gelegen. Auf der anderen
Seite wehte durch drei geöffnete Fenster ein warmer Wind herein.
Energisch klopfte sie an die erste Tür. Binnen weniger Sekunden schwang sie auf, doch Julia erhaschte nur einen ganz kurzen Blick auf das überraschte Gesicht ihres Gegenübers, bevor die Tür wieder zugeschlagen wurde und Richard in wütendem Ton rief: »Nur über meine Leiche!«
Julia biss die Zähne zusammen und klopfte noch lauter. Nun, da sie keine Angst mehr hatte, ihn nicht rechtzeitig zu finden, kam wieder die alte, widerspenstige Julia zum Vorschein. Der Lärm, den sie verursachte, führte dazu, dass die Tür erneut aufging und ein langer Arm sie in den Raum zerrte.
»Wir beide veranstalten hier keine Szene!«, warnte er sie zornig. »Wenn du jemanden auf mich aufmerksam machst, bringe ich dich …«
»Halt den Mund, Richard!« Sie wandte sich ihm zu. »Ich bin nur gekommen, um dich vor einem Fehler zu bewahren, den wir beide bereuen würden.«
Die Kratzer an seiner Wange waren immer noch zu sehen, ebenso die Blutergüsse zu beiden Seiten seiner Nase, aber was seine Rippen betraf, benahm er sich, als fehlte ihm nichts.
»Du willst mich vor einem Fehler bewahren? Hast du geglaubt, ich gehe nach Hause?« Er lachte bitter. »Ganz bestimmt nicht! Aber ich wette, du bist gerade dorthin unterwegs. Raus mit dir!«
Er hielt ihr die Tür auf, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe erst, wenn wir besprochen haben, über welche Möglichkeiten wir verfügen, und uns auf eine Lösung geeinigt haben. Das ist das einzig Vernünftige. Wir können es sogar schriftlich festlegen.«
»Du willst einen weiteren Vertrag?«, fragte er ungläubig. »Bist du von Sinnen?«
»Einen, mit dem wir beide leben können.«
»Du und ich, wir werden uns nie auf irgendetwas einigen. Tu uns beiden einen Gefallen, Jewels, und verschwinde!«
»Nein.«
»Siehst du? Wir können uns nicht einmal auf die einfache Tatsache einigen, dass du hier nicht willkommen bist!«
»Entspann dich, ich habe nicht vor, dich zu beißen.«
Eigentlich wollte sie ihn mit dieser Bemerkung nur beruhigen, doch allem Anschein nach erinnerte sie ihn an ihre früheren gewalttätigen Begegnungen. Er lief vor Wut rot an und streckte den Arm nach ihr aus. Julia quiekte erbost, konnte ihm aber nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Nachdem er sie zu fassen bekommen hatte, beschränkte er sich allerdings darauf, sie aus dem Zimmer zu werfen. Noch ehe
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