Im Taumel der Sehnsucht
Umnachtung«, sagte der verwundete Mann mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme. »Das kleine Ding kommt aus den Kolonien, und ich könnte mich dennoch Hals über Kopf in sie verlieben!«
»Dann beherrsch dich«, erwiderte Bradford knapp. »Ich will sie!« Die Bemerkung erlaubte keinen Widerspruch, und sein Freund war klug genug, dies mit einem heftigen Nicken anzuerkennen. »Mir ist es egal, ob sie aus den Kolonien kommt oder nicht«, setzte Bradford hinzu.
»Du wirst aber für gewaltiges Aufsehen sorgen, wenn du ihr nachstellst. Falls ihr Vater keinen Titel hat... Denk an deine gesellschaftliche Stellung.«
»Das heißt, du würdest dich dagegenstellen?« fragte Bradford interessiert.
»Nein, im Gegenteil. Sie hat mir mein Leben gerettet.«
Bradford hob fragend eine Augenbraue, und sein Freund setzte zu einer Erklärung an. »Diese Schufte wollten mich umbringen, doch da kam sie und schoß dem Anführer in die Hand.«
Bradford grinste. »Ich kann nicht behaupten, daß mich das erstaunt. Nach dem, was ich von ihr erlebt habe, halte ich sie durchaus für fähig, so etwas zu tun.«
»Einen anderen hat sie in die Schulter getroffen.«
»Ist dir aufgefallen, wie sie meinen Fragen ausgewichen ist?«
Mr. Smith gluckste vergnügt. »Ich hätte nie gedacht, daß ich dich mal lächeln sehe, Bradford, aber heute hast du ja förmlich nichts anderes getan. London wird sich das Maul zerreißen. Und ich glaube, du wirst es mit der Kleinen nicht leicht haben. Ich beneide dich glatt um die Herausforderung.«
Bradford gab keine Antwort, sondern wandte sich um und blickte zu der Wegbiegung, hinter der die Frauen und der Farbige verschwunden waren.
»Ich kann's kaum erwarten, zu sehen, wie die Ladies der Gesellschaft reagieren, wenn sie sie sehen. Allein diese unfaßbar blauen Augen! Du wirst dich mit Unmassen von Gentleman schlagen müssen, Bradford. Herr im Himmel, sieh dir bloß meine Stiefel an!«
Der Duke auf Bradford ignorierte die letzte Bemerkung. Dann, plötzlich, begann er zu lachen. »Und, Brummell? Würdest du es wagen, sie zu schneiden?«
KAPITEL 2
Die gemietete Kutsche fuhr in stetem Tempo nach London zurück. Benjamin, der dem Verantwortungsbewußtsein des Fahrers nicht mehr traute, hatte sich neben ihn auf den Kutschbock gesetzt.
Caroline und Charity saßen einander gegenüber, und nachdem Charity sich ausgiebig über den Vorfall mit den beiden Gentlemen ausgelassen hatte, versanken sie beide in nachdenkliches Schweigen.
Charity war gewöhnlich nicht so nervös. Caroline nahm an, daß ihre Cousine versuchte, mit ihrem aufgeregten Geschnatter ein wenig von der gewaltigen Anspannung zu kompensieren, unter der sie stand. Während Caroline wenig mitteilsam war, ließ Charity sie stets alles wissen, was ihr im Kopf umherging. Das war keine besondere Ehre, denn ihre Cousine teilte förmlich jedem, der nicht schnell genug weglaufen konnte, mit, was sie dachte. Ihre Mutter sagte immer, daß Charity die neusten Nachrichten schneller verbreitete als der Bostoner Journal.
Caroline war genau das Gegenteil von Charity. Im allgemeinen wurde sie als ruhig und etwas scheu eingeschätzt, und sie hatte sich längst damit abgefunden. Es lag eben nicht in ihrer Natur, sich jedem anzuvertrauen. Anders als ihre Cousine machte sie auch ihre Probleme mit sich allein aus.
»Ich wünschte, wir hätten einen Plan, an den wir uns halten könnten, jetzt, da wir endlich in England sind«, entfuhr es Charity nun. Sie wrang und zwirbelte ihre rosafarbenen Handschuhe, die sie abgestreift hatte, derart heftig, daß sie schon recht mitgenommen aussahen. »Ich verlasse mich auf dich, Caroline. Du mußt mir sagen, wie wir vorgehen sollen.«
»Charity, wir haben das doch schon unzählige Male durchgesprochen. Ich weiß ja, daß es schwer für dich ist, aber bitte versuch wenigstens, dir nicht allzu viel Sorgen zu machen. Wenn du dein Gesicht weiter so in Falten legst, dann siehst du bald aus wie eine alte Frau!« Carolines Stimme war sanft, aber fest. »Du weißt doch, daß ich dir helfen werde. Aber dafür mußt du mir auch versprechen, vernünftig zu sein.«
»Vernünftig! Genau! Das werd' ich sein! Das ist immer das beste! Oh, ich wünschte, ich hätte etwas mehr von deinem Selbstvertrauen, Lynnie. Du wirkst immer so ruhig, so beherrscht!« Sie stieß einen in die Länge gezogenen Seufzer aus, der Caroline ein Lächeln entlockte. Ihre Cousine hatte in der Tat einen Hang zur Dramatik. »Aber was, wenn sich herausstellt,
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