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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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konnte, in seinen Träumen, Phantasien, höchstwahrscheinlich sogar in der Wirklichkeit.
    In den Augenwinkeln nahm er wahr, daß sich neben ihm nun auch Miriam erhob. In ihrer knöchellangen Nonnenkutte ging sie zu Stephen hinüber, der Mabo und Ajkech beim Aufladen der Packstücke beaufsichtigte. Auf jeden Fall würde er mit den Priestern Cha'acs nach Kantunmak ziehen, beschloß Robert, alles Weitere würde sich dort schon finden. Unbedingt mußte er die beiden Stelen in Augenschein nehmen, um festzustellen, ob sie ihm selbst und der jungen India tatsächlich so sehr gleichsahen. Bei der bloßen Vorstellung, die schöne Mayafrau in Stein gehauen vor sich zu sehen, empfand er ein Kribbeln im Magen. Vor seinem geistigen Auge sah er schon, wie er ihre Skulptur berührte und der steinerne Leib auf einmal zum Leben erwachte, verwandelt in Fleisch und Blut...
    »Hör zu, Robert.« Stephens Stimme, gedämpft und doch dröhnend, riß ihn aus seinen Gedanken. Stephen stand vor ihm, die Fäuste auf die Hüften gestemmt, eine massige Gestalt in schmutzstarrenden, über den Knien zerfetzten Khakihosen.
    »Gleich werden die grauen Affen aufbrechen wollen«, fuhr er fort, »und natürlich mit dir, aber keine Sorge, wir lassen dich nicht im Stich. Bis morgen oder übermorgen ziehen wir alle mit ihnen, um sie in Sicherheit zu wiegen und damit sich Paul einigermaßen erholen kann. Spätestens in drei Tagen aber machen wir uns auf und davon. Denn nach meiner Karte liegt der Schatz des Canek etliche Tagesreisen westlich von hier vergraben, während es die grauen Affen anscheinend geradewegs nach Süden zieht.«
    Beim Anblick von Stephens Gesicht, das wie stets vorwurfsvoll und besorgt wirkte, wurde Robert in seinem Mut und seiner Entschlossenheit wieder wankend. Es erbitterte ihn, daß Stephen ihre Begleiter unveränderlich als »Affen« schmähte, doch er schluckte seinen Zorn hinunter. Stärker noch spürte er in diesem Moment, daß er es trotz allem nicht ertragen würde, ohne die Gefährten weiterzuziehen, einzig von den Mayapriestern bewacht und geführt.
    Wie nur konnte er Stephen dazu bewegen, mit ihm und den Priestern nach Kantunmak zu gehen? Auf einmal fiel ihm wieder ein, was der Chilam Balam zu ihm gesagt hatte, im Tempel des Jaguargottes vergangene Nacht. »Du irrst dich«, erklärte er Stephen, »der Schatz von Tayasal befindet sich in Kantunmak, an einem Platz unter der Erde, der Chilam Balam selbst hat es mir gesagt.«
    Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, spürte er, daß es ein großer, vielleicht nie wiedergutzumachender Fehler war, Stephen in dieses Geheimnis einzuweihen. Aber es war zu spät, Stephens Augen leuchteten auf, schon drängte er sich näher an ihn heran und legte ihm sogar einen Arm um die Schultern, um ihn in vertraulichem Ton nach weiteren Einzelheiten zu fragen.
    Nur die Ruhe bewahren, sagte sich Robert rasch, warum sollte es ein Fehler gewesen sein? Und er gab Stephen bereitwillig Auskunft und versuchte die Glaubwürdigkeit seiner Behauptung sogar noch zu steigern, indem er einwarf, daß das geheimnisvolle Kantunmak möglicherweise viel weiter westlich liege, als Stephen anzunehmen scheine, also sehr gut der Ort sein könne, der auf seiner Karte als Versteck des Schatzes eingezeichnet sei. Daraufhin fragte Stephen mit einer Stimme, die vor Begierde vibrierte, ob der Chilam Balam keine Einzelheiten des Schatzes erwähnt habe, bestimmte Kleinodien, Jadestatuetten, goldene Götterköpfe. Während Robert ihm vage, aber doch ermutigend antwortete, sagte er sich voller Erleichterung, daß Stephen und Paul künftig nicht einmal mehr daran denken würden, ihn im Stich zu lassen. Im Gegenteil, dachte er, die Gewichte hatten sich verkehrt, von nun an würden sie von seiner Gunst und Fürsprache abhängig sein.
    »Genug jetzt, Stephen, mehr weiß ich auch nicht«, sagte er endlich, dessen unersättliche Fragen nach der Beschaffenheit des Schatzes abschneidend. »Laß dir aber eines noch gesagt sein, zum letzten Mal: Hör endlich auf, unsere Begleiter als Affen zu beschimpfen. Nur wenn du, Miriam und Paul meine Anweisungen ganz genau befolgt, könnt ihr in meinem Gefolge bleiben und unter meinem Schutz.«
    »Gefolge«, echote Stephen, mit großen Augen, die gelben Haarbüschel auf seinem Schädel steiler himmelswärts gesträubt denn je.
    Robert wand sich unter seinem Arm hervor und wollte Stephen einfach stehenlassen, wo er stand, zwischen Miriam und dem hoch bepackten Lastpferd. Doch da fiel ihm noch eine

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