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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Robert zu beruhigen, aber vergebens, zu sehr empfand er, daß es nur Wunschbilder waren, machtlos gegen Prophezeiung und Glauben, die die ausersehenen Widersacher mit unbändiger Gewalt aufeinander zutrieben.

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    Niemals verlasse der oberste Priester Cha'acs sein Heiligtum, so Ja'much, ein gewaltiges Bauwerk im Zentrum von Kantunmak. Daher habe er ihn und seine jungen Priester ausgesandt, um den Götterboten in die heilige Stadt zu geleiten. Sein Name sei Ajkinsajd'aantoj, »Todbringender Tapir«, und er vereinige in sich die Würde des obersten Regengottpriesters und des Herrschers über das ganze verborgene Reich der Maya. Niemand sei mächtiger als Ajkinsaj, »der Todbringende«, wie er oft auch abkürzend genannt werde, so wie auch keine Gottheit über mehr Macht verfüge als Cha'ac, der Gott der stürzenden und reißenden, der fließenden und stehenden Gewässer.
    Ajkinsaj also hatte seinem treuen Priester Ja'much befohlen, den Ajb'isäj-ju'um d'ojis nach Kantunmak zu führen und unterwegs, während ihrer langen Wanderung durch den Dschungel, die Erinnerung des Ajk'ub' Maya'ib, des Retters der Maya, aufzufrischen, soweit es für dessen Mission erforderlich sei. Wenn ein Wiederverkörperter in die Menschenwelt zurückkehre, so Ja'much, entsinne er sich zunächst nur weniger Einzelheiten seines oder seiner Vorleben, wie von Nebelschleiern sei sein Gedächtnis anfangs umhüllt. Die Erinnerung an frühere Verkörperungen pflege sich zwar binnen weniger Monate wieder einzustellen, jedoch könne man im Fall des Götterboten so lange nicht warten, da er am dreiundzwanzigsten Tag seiner Wiederkehr bereits wieder dahingehen werde.
    Seit Anbeginn dieser Welt, fuhr der alte Priester fort (mit einem argwöhnischen Blick auf Robert und seinen Diener, die beide zusammengezuckt waren), verließen die Maya stets zu Beginn eines neuen Baktun, nach zwanzigmal zwanzig Jahren, die Stadt, in der sie bis dahin gelebt und ihre Götter mit prachtvollen Pyramiden und Tempeln verherrlicht hatten, um in einer neuerrichteten Stadt zu leben, denn nach dem Willen der Götter sollten sie niemals länger als ein Baktun in ein und derselben Stadt verweilen. Es war eine gewaltige Aufgabe, die jedesmal alle Kräfte erforderte: Die neue Stadt mußte binnen weniger Jahre errichtet werden, meist an einem weit entfernten Ort, stets in unwegsamem Dschungel, mit Pyramiden und Tempeln für alle Gottheiten, mit Palästen und Häusern für die Edlen und Priester, die Krieger, Handwerker und Händler, und jede Pyramide, jeder Tempel, jeder Palast mußte größer und prachtvoller geraten als die Bauwerke in der alten Stadt. Zugleich aber durften die Götterdienste in der alten Stadt nicht vernachlässigt werden, an jedem Tag galt es Opferfeiern für zahlreiche Wesenheiten zu veranstalten, Rituale und Anrufungen, wie es der göttliche Kalender befahl. Doch in den Jahren vor dem Ende zeigte sich, daß es den Maya von Ta yasal an der nötigen Kraft fehlte, um all diese Pflichten zu erfüllen und rechtzeitig eine neue Stadt zu errichten, ein Verstoß gegen kosmisches Gesetz, den die Götter furchtbar bestrafen würden, mit der Vernichtung ihrer ungetreuen Kreaturen.
    Also war die Zeit der Maya von Tayasal, wollte Robert einwerfen, damals schon abgelaufen, auch nach ihrer eigenen Anschauung? Zumindest schien ihre Kultur schon im Niedergang begriffen, ein Gedanke, der ihn eigentümlich erleichterte, als hätte tatsächlich er selbst jene Schuld auf sich geladen, vor mehr als neun Katuns. Aber ehe er Henry oder Mabo auffordern konnte, seine Worte zu übersetzen, sprach der alte Regengottpriester schon weiter.
    Zu jener Zeit herrschte in Tayasal die neunte Wiederverkörperung des Canek, eines Sohnes von Kukulkán, der großen gefiederten Himmelsschlange. Es war der Baktun von Kinich Ahau, dem Sonnengott, der als mächtigste Gottheit von Tayasal verehrt wurde, mit einem gewaltigen Heer von Sonnengottpriestern, an deren Spitze der greise Lahkin stand, der Hohepriester von Tayasal. Allerdings genoß auch Cha'ac , der Regengott, damals schon großes Ansehen. Die Schar der grauen Priester war kaum geringer und B'okd'aantoj, ihr oberster Priester, kaum weniger mächtig als die golden gewandete Priesterscha ft Ahaus.
    Als sich nun zeigte, fuhr Ja'much fort, daß die Maya von Tayasal trotz aller Anstrengungen nicht imstande sein würden, das göttliche Gebot zu erfüllen und eine neue Stadt zu errichten, rechtzeitig zu Beginn des neuen Baktun, da breiteten sich

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