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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Enttäuschung und ein wenig Verlegenheit. Von ihr abgewandt, band er sich das Tuch wieder um. Als er sich ihr erneut zukehrte, saß sie aufrecht im Moos, in das weiße Gewand gehüllt. Zweifellos hatte sie diese Tunika nur übergestreift, um ihn zu täuschen, dachte er, schließlich hatte sie am Tempel des Chilam Balam neben ihm gesessen, als er die junge India gezeichnet und Ja'much von ihr erzählt hatte.
    In einiger Entfernung kauert er sich neben ihr auf den Boden. Sie ist schön und gefährlich und kalt, dachte er und sagte: »Von mir wird Stephen nichts erfahren, keine Angst.«
     »Du verachtest mich«, gab sie zurück, in bitterem Tonfall,
    »nicht anders als Paul.« Ihre Augen schimmerten wie von Tränen, doch er sah sie weiterhin nur an, wortlos und ein wenig abwesend, da er in seinem Kopf noch immer keinen klaren Gedanken fand. »Niemals wäre ich mit Stephen mitgegangen, hier heraus in den dreckigen Urwald«, fuhr sie fort, und ihre Stimme klang nun gepreßt vor Verachtung, »wenn ich geahnt hätte, was für ein erbärmlicher Versager er ist. Seit Jahren hat er mir in den Ohren gelegen mit seinem Schatz, den er ausbuddeln und mit dem er der ganzen Welt beweisen wollte, was für ein toller Kerl er ist. Und was macht er statt dessen? Trottet wie ein Schaf dem Schlachthof entgegen und reißt mich mit in sein Verderben!«
    Sie sah ihn an, mit großen Augen. Offenbar wartete sie auf eine Antwort, einen tröstlichen Einwand, doch Robert schwieg noch immer.
    »Ich hätte es mir von Anfang an denken können«, sagte sie,
    »ich weiß ja seit langem, daß Stephe n und Paul unverbesserliche Kindsköpfe sind. In ihren Gedanken und Träumen haben sie das Waisenhaus der Barmherzigen Nonnen niemals verlassen, und natürlich war es auch Stephens Idee, daß ich in der Maskerade der Barmherzigen Schwester mit ihm kommen sollte. Er selbst hat mir ja diese Nonnenkluft besorgt, schon vor Jahren, und wann immer er mich im Victoria Camp besucht hat, mußte ich den gräßlichen Kittel für ihn anziehen.«
    »Du hast im Holzfällercamp gelebt?« Zum ersten Mal sah er sie aufmerksam an, voller Erstaunen. »Was um Himmels willen hast du dort gemacht?«
    »Na was wohl, du Unschuldsknabe«, gab Miriam zurück, mit rauher Stimme und unzweideutigem Blick.
    Robert spürte ihre Augen, die über seine Gestalt glitten, bis hinab zu seinem Schurz, ein bedrängender Blick, als ob sie mit der Hand über ihn striche. Er sah in ihr hübsches, schon ein wenig verlebtes Gesicht, auf ihre feuchtglänzenden Lippen, dann senkte er rasch den Kopf, da ihm auf einmal das Blut in die Wangen stieg.
    »Wegen mir brauchst du dich nicht zu schämen oder zu verstellen«, sagte sie leise, mit heiserem Girren. »Ich bin daran gewöhnt, daß ihr an andere Frauen denkt, wenn ihr bei mir seid. Falls ich dir also nicht ganz zuwider bin...«
    Sie ließ den Satz unvollendet, ihr Gesicht zu einer lächelnden Maske erstarrt. Robert brauchte einen Moment, bis er begriff, daß sie ihm ihren Körper angeboten hatte, ihre Lippen, Arme, Schenkel, und daß sie bereit war, Stephen zu verlassen, wenn es ihm, Robert, Bote der Götter, so gefiel. Er hatte Mühe, sich auf ihre Gegenwart zu konzentrieren, vor seinem geistigen Auge sah er wieder die junge India, und ein Schmerz schlich in ihm umher, da seine Sehnsucht sich abermals nicht erfüllt hatte. Lächelnd sah Miriam ihn an, lockend und voller Selbstgewißheit wartend, doch er kauerte nur reglos neben ihr, außerstande, etwas zu erwidern oder auch nur den Kopf zu heben und ihr in die Augen zu sehen.
    »Wir werden alle hier draußen umkommen«, hörte er sie irgendwann wispern.
    Da zog er sie doch noch an sich, mit einer hölzernen Gebärde. Doch als sie sich an ihn drückte, leise seufzend, da war ihm mit einem Mal wieder, als halte er Mary in den Armen, und er mußte sich bezwingen, damit er sie nicht gleich wieder von sich stieß. Verzweiflung und Abscheu stiegen in ihm auf, bei dem Gedanken, daß alles umsonst gewesen sein könnte, seine Flucht nur ein krampfhaftes Zucken im Traum. Lieber hier draußen verrecken, dachte Robert, selbst unter Angst und Qualen, als jemals zurückzugehen.

NEUN

1
     
     
    Schon von weitem sah er das Tor, eine schmale Öffnung in der hohen, dunklen Wand, auf die ihr Weg schnurgerade zulief. Zu seiner Linken schritt der alte Priester Cha'acs, kraftvoll und bedächtig wie am ersten Tag ihres Marsches. Robert dagegen taumelte nur noch voran, mit schwankenden Schritten, am Ende seiner Kräfte.

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