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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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einen weiten, kreisrunden Platz, und Robert blieb auf der Schwelle stehen, verwundert über die Düsterkeit, die auf dieser Seite des Tunnels herrschte. Aber ehe er sich auch nur umsehen konnte, drängte ihn Ja'muchs Hand schon weiter. So taumelte er voran, auf den weiten Platz, der mit einer grauen, steinartigen Schicht überzogen war, glatt und ebenmäßig wie Stuck. Gewaltige Bauwerke säumten den Platz, Säulenhallen, langgestreckte Paläste, himmelhohe Pyramiden. Doch nicht anders als in den alten Mayastädten, die Frederick Catherwood gezeichnet hatte, waren auch diese Bauten offenbar allesamt Ruinen aus heroische r Vergangenheit.
    Erstaunt sah Robert um sich, während er über den weiten Platz ging, von Ja'much vorangeschoben und von Tausenden stiller Pilger gefolgt. Alle diese Bauten, ihre Fassaden und Außentreppen, waren mit Erde und dichtem Gras bedeckt.
    Nirgendwo zeigte sich das kleinste Anzeichen, daß Menschen in ihnen lebten, ja daß sie auch nur in den letzten tausend Jahren von Menschen betreten worden wären. Büsche wuchsen zwischen den Stufen, und aus Firsten und Dächern ragten Palmen und Zapotebäume. Robert hob eine Hand und rieb sich die Augen, so verblüfft, daß er für den Moment sogar seine Erschöpfung vergaß. Das hier sollte Kantunmak sein, die heilige Stadt der heutigen Maya?
    Wieder und wieder sah er um sich, während Ja'much ihn auf einen breiten Weg am and eren Ende des Platzes zuschob. Nun bemerkte er auch die zahlreichen Risse im Mauerwerk, überall dort, wo eine Wand nicht gänzlich von Gras und Erde bedeckt war. Aus Fensterscharten, hinter denen man schlammgefüllte Kammern erahnen konnte, neigten sich holzige Büsche oder magere Bäume ins Freie, trübselig wie greise Bewohner. Urwaldriesen hatten ihre Wurzeln, schenkeldicke, bleiche Pfähle, durch Treppen und Mauern getrieben. Eine kleinere Pyramide, aus deren First ein Ramonbaum wuchs, war von den Wurzeln des Baumes regelrecht zertrümmert worden. Lianen und Luftwurzeln bildeten bizarre Brücken zwischen Treppen, Fenstern, Firsten, und Horden von Spinnaffen kletterten auf den schwankenden Stegen umher.
    »Der verrückteste Zufall der Weltgeschichte!« Stephens Stimme, die auf einmal die Stille zerriß.
    »Du sagst es, Stephen«, bestätigte Paul, eine halbe Oktave höher und mit hämischem Unterton. »Dieser Säulenheilige da draußen sieht wahrhaftig wie unser Robert aus!«
    Robert sah über die Schulter nach hinten, ohne innezuhalten, denn Ja'muchs Hand drängte ihn unerbittlich voran. Zehn Schritte hinter ihm, halb verdeckt durch einige Dutzend Marschierer, erkannte er seine Gefährten, Stephen, Paul und Miriam, dahinter Mabo, Henry und Ajkech. Ihnen allen waren die Hände gefesselt worden, und sie trugen Schlingen um die Hälse, wie Hundeleinen, an denen sechs junge Priester Cha'acs sie vorwärtszogen. Doch ungeachtet ihrer mißlichen Lage ergingen sich Stephen und Paul in dreisten Schmähreden.
    »Um die nackten Affen zu foppen«, gab Stephen zurück,
    »reicht die Ähnlichkeit allemal.«
    »Kommet und schauet«, rief Paul in psalmodierendem Tonfall, »die Statue wandelt durch die Stadt, ganz wie ein Mensch aus Fleisch und Blut!«
    »Zum Donner, der Stein atmet«, sekundierte sein Kumpan,
    »seht nur, ein Wunder ist geschehen!« Und er stöhnte regelrecht auf vor hämischem Behagen, sein Gesicht noch aufgedunsener als gewöhnlich und feuerrot wie die Haare Pauls.
    Paul dagegen sah noch immer bleich und abgezehrt aus.
    »Sagte ich Stadt?« rief er, und seine Schnurrbartspitzen zuckten.
    »Ein Schlamm-und Trümmerhaufen ist's, aber immer noch viel zu komfortabel für Roberts Affenfreunde!«
    Die Maya in ihrer Umgebung warfen den beiden finstere Blicke zu. Glücklicherweise verstanden sie kein Wort, dachte Robert, aber natürlich spürten sie, daß die weißen Männer absichtlich die feierliche Stille zerstörten.
    Die Priester, die sie an den Schlingen führten, wußten anscheinend nicht, wie sie Stephen und Paul zum Schweigen bringen sollten. Ihre Blicke suchten Ja'much, der sic h gleichfalls umgewandt hatte und sogar stehengeblieben war. Dankbar nutzte Robert die Gelegenheit und hielt ebenfalls inne, ziemlich genau in der Mitte des Platzes. Aus dem Durchlaß, dreißig Schritte zurück, strömten immer noch weitere Maya heraus, dabei war der Platz bereits zur Hälfte mit Menschen gefüllt.
    Ja'much fauchte einen Befehl zu seinen jungen Priestern hin. Was hatte das zu bedeuten? Beunruhigt suchte Robert den Blick seines

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