Im Tempel des Regengottes
Seine Haut war am ganzen Leib mit Wunden übersät, und jeder Muskel, jede einzelne Sehne in seinen Beinen und Füßen schmerzte. Längst hätte er sich einfach zu Boden fallen lassen, wären nicht hinter ihm die jungen Priester Cha'acs geschritten, die ihn energisch anrempelten, mit Schultern und Knien, sowie sein Schritt auch nur ein wenig erlahmte.
Das Tor, dachte er, noch zweihundertfünfzig, vielleicht dreihundert Schritte, dann sind wir am Ziel. Unruhe flackerte in ihm auf, doch er war viel zu erschöpft, um sie mehr als flüchtig wahrzunehmen. Kantunmak, die heilige Stadt, seit hundertachtzig Jahren wartet sie auf meine Wiederkehr. Er taumelte weiter, zu müde sogar, auch nur eine Hand zu heben und sich die Haare aus der Stirn zu striegeln, aus denen ihm fortwährend Schweiß in die Augen und in den wirren Bart rann.
Qualvoll langsam schleppte er sich dem Tor entgegen, Schritt um Schritt in der dampfenden Hitze. Es war der dreizehnte Tag ihrer Wanderung, und um Kantunmak noch vor der Abenddämmerung zu erreichen, hatten sie heute selbst auf die kurze Mittagsrast verzichtet. Ihre Kolonne mochte mittlerweile mehrere tausend Pilger umfassen, und doch zogen sie fast lautlos dahin, nur das Trappeln ihrer Schritte war zu hören und ab und an ein Schnauben von den Pferden am Ende des Zugs. Ohnehin waren alle Maya, auf die Robert bisher getroffen war, von ernstem, wortkargem Wesen, aber diese vollkommene Stille hatte sich erst in der letzten Stunde über ihre Prozession gelegt. Kantunmak. Die heilige Stadt war nahe. Und die heilige Schlacht, von der Zehntausende Maya in den Wäldern von Britisch-Honduras und Guatemala seit fast zwei Jahrhunderten träumten. Ein Schauder überlief ihn, doch selbst für ein tieferes Erschrecken fehlte ihm die Kraft. Schlacht, Sterben, Todesangst, das alles schien ihm in diesem Moment weit entfernt und gänzlich irreal. Wirklich war allein der nächste Schritt, den er seinem todmüden Körper abtrotzen mußte.
Einhundertundelf... hundertzwölf... dreizehn. Mechanisch, wie ein Uhrwerk, zählte eine Flüsterstimme in ihm jeden seiner schlurfenden Schritte mit. Weit vorgebeugt trottete er voran, den Blick auf den Weg vor sich geheftet, um nicht zum Überfluß über ein Hindernis zu stolpern. Dabei war dieser Weg ebener als eine Londoner Chaussee und wenigstens genauso breit. Überall lagen Laub und Zweige verstreut, doch darunter schimmerte eine glatte Fläche, gleichmäßig und grau wie Asphalt. Hundertdreiunddreißig... vierunddreißig... Oder hatte er die Hundert schon einmal durchgezählt? Verflucht, er konnte sich nicht erinnern. Die zählende Flüsterstimme in seinem Innern stockte, und für einen Moment stockte auch sein taumelnder Schritt. Doch ehe die jungen Priester ihn mit ihren Schultern und Knien anstoßen konnten, hatte Robert sich wieder in Bewegung gesetzt und wankte weiter voran. Zweihundert-siebenunddreißig...
Die himmelhohe Wand, endlich ragte sie vor ihm auf. Er hob den Kopf, zwinkerte sich den Schweiß aus den Augen. Die Wand bildete eine steile Schräge, hundertfünfzig Fuß hoch oder mehr. Wie weit sie sich seitlich erstrecken mochte, war nicht zu erkennen, da sie sich beiderseits des Weges nach wenigen Dutzend Schritten in Dickicht und Nebel verlor. So weit er sehen konnte, war sie überall mit Erde und Buschwerk bedeckt, und ein weniger geübter Betrachter hätte zweifellos geglaubt, vor einer natürlichen Bergwand zu stehen. Doch als er genauer hinsah, entdeckte er bröckelndes Mauerwerk zwischen Wur zelstrünken und sogar schmale Fensterscharten weiter oben, hinter denen sich Späher verbergen mochten.
Robert faßte das Tor in den Blick, sein Atem ging keuchend, und kleine Lichter flackerten vor seinen Augen. Es war eher ein Durchlaß, zehn Schritte voraus in der Mauer klaffend, ein hoher, schmaler Gewölbegang, aus dem Finsternis und Modergeruch quollen. Stämmige Wächter standen davor, je drei auf beiden Seiten des Weges, nackt bis auf einen nebelgrauen Schurz, auf dem das Bildnis des Regengottes prangte. Trotz seiner Erschöpfung staunte Robert sie an wie Wundergestalten. Es waren Männer seines Alters, vielleicht dreißig Jahre oder wenig darüber, die ersten Mayamänner, weder Jünglinge noch Greise, die er zu Gesicht bekam, seit in Fort George jener Abgesandte vor seinen Augen zusammengebrochen war.
Schritt um Schritt trottete er weiter auf das Tor zu, fügsam wie ein Delinquent auf seinem letzten Gang. Schon wollte er hindurchwanken, da hob Ja'much
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