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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Dieners, und Henry signalisierte ihm lautlos, mit überdeutlichen Lippenbewegungen: »Knebeln.«
    Es war keine bedachte Entscheidung gewesen, eher ein traumhaftes Hinübergleiten, doch Robert selbst spürte, daß er die Rolle, die Schicksal oder Zufall ihm zugeschoben hatte, in diesem Moment endgültig annahm. Er hob eine Hand, und Ja' much, der bereits den Mund geöffnet hatte, um weitere Befehle zu erteilen, sah stumm, mit einem Ausdruck der Ergebung, zu ihm auf.
    »Im Namen der Götter, die mich zu euch gesandt haben«, rief Robert, »ich befehle euch, laßt meine Gehilfen frei!« Er hatte mit erhobener Stimme gesprochen, in einem selbstbewußten, ja befehlsgewohnten Tonfall, der ihm vor wenigen Momenten noch fremd gewesen war. »Henry, übersetze das«, wandte er sich leiser an den Mestizen. »Aber warte, erst noch ein Wort zu euch beiden.« Er drehte sich ganz zu ihnen um, und sein Blick bohrte sich abwechselnd in Stephens und Pauls Augen. »Meine allerletzte Warnung: Verstoßt ihr noch einmal gegen meine Gebote, so werde ich keinen Finger mehr rühren, um euer Leben zu retten.«
    Stephen hob die Auge nbrauen, ungewiß, ob als hämische Grimasse oder in echtem Erstaunen. Henry hatte bereits begonnen, Roberts Rede zu übersetzen, und noch in seine letzten Worte hinein spuckte Ja'much einen Befehl. Die sechs jungen Priester zogen die Köpfe ein, als hätten sie Prügel bezogen, und banden mit hastigen Handgriffen ihre Gefangenen los.
    Abermals sah der alte Priester Cha'acs zu ihm auf. Seine Miene wirkte unterwürfig, und zugleich entzifferte Robert ein Erstaunen in seinen Augen, als hätte Ja'much soeben ein Zeichen empfangen, daß er wahrhaftig der Wiedergekehrte sei.
    »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il!« rief er lauthals mit heiserer Stimme, und nach einem Moment angespannten Schweigens fiel die Menge tausendstimmig in die Huldigung ein:
      »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il - Retter der Maya, wir preisen dich!« Unablässig wiederholten sie diese Worte, und dazu sank die lobpreisende Menge auf die Knie, in kreisförmigen Wellen, die von Robert, ihrem Zentrum, bis zu den entferntesten Rändern liefen. »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il! Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il!«
    Tatsächlich waren auch Stephen und Paul in die Knie gegangen, niedergezogen von Miriam, die zwischen ihnen kauerte und Robert mit einem Ausdruck maßloser Bewunderung ansah. Doch er mied ihren Blick ebenso wie den Blick des jungen Henry und ließ seine Augen über die Tausende gebeugter Köpfe und Rücken schweifen, die den weiten Platz zwischen den schlammbedeckten Ruinen füllten.
    »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il!« rief und raunte die Menge, und Robert sah an einer Pyramide mit zertrümmerter Fassade empor, die am rechten Rand des Platzes bis fast in den Himmel ragte. Weit oben in dem wuchtigen Bauwerk, hundert Fuß oder mehr über dem Erdboden, bemerkte er eine schmale Luke, und dahinter stand sie.
    Ixkukul. Oder wie immer sie in diesem Leben hieß.
    Sie sah auf ihn herab, mit angespannter Miene. Sein Herz begann zu rasen, aber äußerlich blieb er gefaßt. Er hatte sie gefunden, endlich, die India seiner Träume, doch sie schwebte in großer Gefahr. Warum hatte er das nicht viel früher erkannt? Sie versteckte sich dort oben in der Ruine, und es war leicht zu erraten, vor wem sie sich verbarg.

3
     
     
    Inmitten der Menge auf dem schlammigen Platz kniend, spähte der Pferdebursche Henry verstohlen zu Mr. Thompson, der als einziger aufrecht in einem Meer gesenkter Köpfe, gebeugter Rücken stand. Mit dem zottigen Bart, der ihm bis auf die sonnengebräunte Brust hing, bot Robert Thompson einen verwegenen, ja wildromantischen Anblick, gleich einem Seefahrer, der auf unentdeckten Meeren segelt, oder einem jener tollkühnen Urwaldforscher, die nach Jahren der Verschollenheit wieder auftauchten, um von unerhörten Abenteuern unter Kannibalen oder Kopfjägern zu erzählen.
      »Ajk'ub' Maya'ib, nojochk'inb'il«, riefen die Priester und Krieger, und ohne es recht zu bemerken, stimmte Helen lauthals in die Lobpreisung ein. Nie zuvor hatte sie sich so sehr von Robert Thompson angezogen gefühlt wie gerade in diesem Moment. Von seiner entrückten Miene, der hochgewachsenen Gestalt, die durch die Strapazen des Dschungelmarsches noch magerer geworden schien, zugleich aber gekräftigt wirkte, sehnig und selbstgewiß. »Erlöser der Maya, wir rühmen dich«, rief die tausendkehlige Menge, und Helen stellte sich vor, wie sie inmitten der Rufenden

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