Im Tempel des Regengottes
und Maya mehr schlecht als recht die britische Sprache radebrechten, und niemand von ihnen hatte auch nur annähernd so nuancenreich und geschmeidig gesprochen wie Ixnaay, nicht einmal Miss Milly, das schwarze Hausmädchen in Molton House. Hatte Ixnaay ihm nicht erzählt, daß sie und ihre Mutter in Belize Town ihr Leben fristeten, indem sie in einer ärmlichen Holzhütte Schlafquartiere vermieteten? Mit ihren Übernachtungsgästen, einfachen Maya, die für einige Tage aus den Wäldern in die Hauptstadt kamen, verständigten sie sich doch sicherlich nicht in der Sprache der »fahlhäutigen Invasoren«? Er sann darüber nach, von einer vagen, qualvollen Eifersucht gemartert, aber es gelang ihm nicht, das Rätsel zu lösen.
Die Mehrzahl der Lichter ringsum an den Wänden war heruntergebrannt, doch niemand von ihnen machte sich die Mühe, sie gegen neue Fackeln auszutauschen, die gebündelt vor den Wandnischen lagen. Paul, Miriam und Stephen unterhielten sich mit gedämpften Stimmen in ihrem Winkel, und Henry, Mabo und Ajkech hockten nahe der Stirnwand am Boden, auf den Unterschenkeln kauernd, in der reglosen Haltung, in der die meisten Indios ihr halbes Leben zu verbringen schienen.
Noch mysteriöser als Ixnaays Sprachkenntnisse, dachte Robert, war ihre Vertrautheit mit den hiesigen Verhältnissen. Wenn sie, wie er selbst, gestern erst in Kantunmak eingetroffen war, wie war es dann möglich, daß sie sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das Labyrinth der Ruinen, mit seinen Geheimgängen, verborgenen Luken und Einlassen, bewegte? Sie mußte sich schon öfter hier aufgehalten haben, oder ortskundige Helfer mußten ihr gezeigt haben, wie man ungesehen in den Tempel des Jaguargottes gelangen und von dort wieder verschwinden konnte, ohne die Aufmerksamkeit der grauen Priester auf sich zu ziehen. Und selbst von der Nische im Jaguartempel hatte sie ge wußt, dachte er, als ob sie es gewohnt wäre, in den Heiligtümern der alten Stadt ein-und auszugehen!
Noch sträubte sich alles in ihm gegen den Gedanken, daß sie ihn belogen haben könnte. In weiter Ferne glaubte er immer noch die melodischen Rufe der zahllosen Krieger draußen auf dem Platz zu hören, wie ein stetiges, leises Brausen unabsehbar anbrandender Wellen. Wo Ixnaay sich jetzt versteckt halten mochte? Vielleicht hatten die Priesterinnen der Mondgöttin sie aufgenommen, die sie doch als wiedergekehrte Ixkukul verehren mußten, die oberste Priesterin ihres Kultes in Tayasal. Aber die Priesterinnen in den silbernen Gewändern, sagte er sich dann, würden es nicht wagen, irgend etwas gegen Ajkinsajs Willen zu unternehmen. Voller Unbehagen dachte er an die beiden Marionetten, die auf den Thronen neben Ajkinsaj gesessen hatten, den kindlichen Sonnengottpriester und die lallende Idiotin im Gewand der obersten Priesterin Ixquics. Nein, Ixnaay mußte mächtige Verbündete haben, weitaus stärker als die Anhänger der unterworfenen Götterkulte hier in Kantunmak.
Und indem er aufs neue über ihr Geheimnis nachsann, versankt er noch tiefer in Trübsinn und Melancholie.
Aber sie hat mich geküßt, dachte er dann wieder, wir haben einander umarmt und geküßt wie ein Liebespaar. Ich habe die India meiner Träume endlich in den Armen gehalten, wie kann es da sein, daß ich trotzdem so mutlos bin? Daß ich auf meinem Mund noch ihre weichen Lippen, an meiner Brust noch ihren Busen spüre und mich dennoch wie zerschlagen fühle, niedergeknüppelt wie ein Hund? Hat sie mir nicht gestanden, was sie empfand, als sie mich zum ersten Mal erblickte - daß wir zusammengehörten, daß die Welt für sie zu strahlen begann?
Wieder und wieder rief er sich ihre Erscheinung vor Augen, ihren Blick, ihr liebevolles Lächeln, ihre Berührungen, jedes einzelne ihrer köstlichen Worte. Aber es half nichts, oder kaum mehr als nichts, gegen die lähmende Trübsal, die ihn umfangen hielt, gegen die immer dichteren Nebel der Hoffnungslosigkeit.
Ungewiß, wie lange er so gelegen hatte. Erst als einer der Wächter vor dem Türloch dröhnend nieste, fuhr er auf und bemerkte, daß es stockdunkel war und seine Gefährten längst allesamt schliefen. Seine Kopfschmerzen waren wieder ärger geworden, und er war froh, daß auch die letzten Fackeln verloschen waren. Reglos lag er in seiner Hängematte und lauschte auf Ajkechs und Henrys gleichmäßige Atemzüge und auf das leise Pochen in seinem Kopf.
Vorhin hatte Henry ihm seinen Zeichenblock und seine Graphitstifte hingehalten, die im
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