Im Tempel des Regengottes
Durcheinander ihrer Gepäckstücke auf einmal aufgetaucht waren. Er hatte einen unerwartet starken Drang gespürt, wieder wie früher den Stift über das Papier zu bewegen, zufrieden mit der Illusion, die ein paar Kohlestriche schufen, und frei von der Sehnsucht, in die Wirklichkeit des Bildes, die Welt hinter dem Spiegel vorzudringen. Ohne sich zu besinnen, hatte er nach Papier und Stiften gegriffen, doch fast im gleichen Moment war er von Widerwillen erfaßt worden, so daß er den Block zu Boden warf, wie von einem Krampf gepackt.
Es gab kein Zurück mehr, dachte er auch jetzt wieder, schon lange nicht mehr. Die gleiche Prophezeiung, die sie beide hierhergeführt hatte, ihn und Ixnaay, besagte auch, daß er in acht Tagen sterben werde, hingestreckt von der Waffe eines britische n Soldaten. Und sowenig er sich verhehlen konnte, daß die Prophezeiung in dem für die Maya wichtigsten Punkt, dem ersehnten Sieg über die weißen Invasoren, ganz unerfüllbar war, so deutlich spürte er zugleich, daß sie sich, soweit es ihn betraf, gänzlich bewahrheiten würde. Für Ixnaay und ihn würde es keine gemeinsame Zukunft geben, dachte Robert, kein Boot, in dem nur sie beiden den Strom ihrer Liebe und ihres Lebens hinabtrieben. Denn am Ende der sinnlosen Schlacht, des vielleicht letzten großen Kampfes der Maya, würde er sterben, »hingehen im Strom vergossenen Blutes«, wie die Prophezeiung besagte.
Tief in seinem Innern spürte er die Hoffnung, ein flackerndes Flämmchen, daß sie doch noch eine Ausflucht finden würden. Aber er ahnte zugleich, daß seine Sehnsucht nach dem Erlöschen viel stärker war, weitaus älter, eine mächtige Woge, die in ihm emporrasen und alles Flackernde ertränken würde, Hoffnung, Liebe, verstümmelte Lebensgier. Die Wahrheit der Prophezeiung, dachte er in jähem Erschrecken, liegt unerreichbar in mir selbst.
10
Im Dämmerlicht, das durch die Zweige sickerte, war der Boden hellbraun wie Milchkakao und federnd weich unter seinen Füßen. Es war ein lustvolles Gefühl, über diesen Boden zu laufen, als ob seine Sohlen gestreichelt würden. Die Zweige hingen weit hinunter, so tief, daß er vorgebeugt gehen mußte. Bald schon ließ er sich auf alle viere hinab. So war es besser, viel besser. Er begann zu kriechen und spürte unter seinen Zehen, Knien und Händen den federnd weichen Boden, der bei jeder Berührung zu erbeben schien. Oder war das er selbst, den wieder und wieder Schauer überliefen?
Er hätte es nicht sagen können, es war ihm auch gleich. Im flirrenden Dämmerlicht kroch er voran, und auf einmal spürte er, daß er in den Boden einsank, ganz langsam, zollweise, mit jeder kriechenden Bewegung ein wenig tiefer. Als wäre der Boden nicht nur hell wie Milchschokolade, als wäre es wahrhaftig Kakao, zerstoßen und geschmolzen zu sämigem Brei. Immer tiefer sank er ein, seine Hände schon bis über die Gelenke in köstlichen Kakao getaucht. Unwillkürlich drängte er sich noch enger an diesen Boden heran, mit seinem ganzen Körper, über die nachgiebige Schokoladenfläche kriechend wie eine Schlange, und es war schiere Lust, sich derart zu bewegen, weniger voran als in die federnde Erde hinein.
Er war schon zur Hälfte versunken, als ihm auf einmal dämmerte, daß es Fleisch war, kakaofarbenes Menschenfleisch, in der Hitze gedunsen zu zähem Schleim. Von Ekel erfaßt, wollte er aufspringen, davonlaufen und wühlte sich doch nur tiefer hinein. Augen glotzten ihn an, wie Blasen auf der weichen Fläche treibend, rundliche Wölbungen sah er, wie von Schultern, Brüsten, Knien unter dem fleischigen Schleim. Er packte nach einer Schulter, um sich zu stützen, aus dem Brei herauszudrücken, der ihn schon bis zum Nabel umfing. Aber es war nur eine leere Wölbung, von Gasen aufgeblähte Haut, die unter seiner Hand mit dunklem Glucksen zerplatzte.
Er sank tiefer, immer tiefer, gleich, ob er mit den Beinen stampfte oder reglos blieb. Er spürte, wie der Brei an ihm emporfuhr, dicht und eng wie ein Strumpf, wie eine zweite Haut. Vage war ihm bewußt, daß er all das schon einmal erlebt hatte, auf Grimaldis Liege, in seinem allerersten, alles verwandelnden magnetischen Traum. Aber diesmal, dachte er voll Entsetzen, geschieht es in Wirklichkeit. Er wollte schreien, und ein Schwall warmen Breis quoll in seinen Mund. Keuchend und würgend sank er immer tiefer, mit den Beinen stampfend, als liefe er eine steile Treppe hinab.
Als er schon glaubte, vor Atemnot ersticken zu müssen, fühlte
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