Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
erst vor drei Wochen, durch die Abgesandten Ajkinsajs.« Sie sprach nun hastig, sehr leise, den Kopf emporgereckt, ihr Mund nahe an seinem rechten Ohr. »Du kennst sie«, flüsterte Ixnaay, »einen von ihnen haben deine Gefährten erschossen. Meine Mutter und ich betreiben in Belize Town eine kleine Pension, eine Bretterhütte für die Ärmsten aus dem Dschungel, die aus irgendwelchen Gründen einmal in der Hauptstadt übernachten müssen.« Mit einem kleinen Schritt rückte sie ihm noch näher, so daß ihre Leiber sich sacht berührten. »So haben auch die Abgesandten bei uns genächtigt«, flüsterte sie, »und am Tag ihrer Ankunft hörte ich, wie Aj'eetzich, der Uralte, zu den beiden anderen sagte, daß ich die wiederverkörperte Ixkukul sein müsse, die oberste Priesterin der Mondgöttin Ixquic, deren steinernes Bildnis vor dem Tor von Kantunmak steht.«
    Robert stand wie erstarrt, wahrhaftig wie eine Stele vor ihr und wagte kaum zu atmen, geschweige denn, seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen, die fünf Zoll vor ihm verlockend schwebten. Einen langen Moment stand sie so da, an ihn gelehnt, als ob sie auf etwas wartete, dann wich sie wieder ein wenig zurück und sagte:
    »Wochenlang bin ich unter großen Gefahren und Entbehrungen hierher gewandert, als ich dann aber vor dem Bildnis stand, fand ich die Übereinstimmung dürftig. Gewiß, die steinernen Figuren sehen dir und mir recht ähnlich, aber es sind eher Ähnlichkeiten des Typs als der Person. Das allein hätte mich wohl nicht überzeugen können, und viel seltsamer scheint mir noch immer, daß ich dich in Fort George am Kai sah und augenblicklich wußte, daß du und ich zusammengehören.« Wie zufällig fuhr sie ihm mit einer Hand über den kalkweiß gefärbten Arm. »Kannst du dir vorstellen, Robert, was ich in diesem Moment empfand?«
    Er verneinte stumm, aber nur, damit sie bei ihm blieb und weiter so unsäglich süße Worte zu ihm sprach. Noch immer wagte er nicht, sie zu berühren, dabei mußte er sich mit aller Gewalt beherrschen, um nicht seine Arme um sie zu schlingen und sie wieder und wieder zu küssen, mit der Gier eines Verdurstenden.
    »Das war Wochen, bevor die Abgesandten Ajkinsajs sich bei uns einquartierten«, sagte Ixnaay. »Du gingst am Kai von Fort George entlang, entrückt wie ein Priester in Trance. Ich sah dich an, völlig verwirrt, und hatte das Gefühl, daß sich mit einem Mal alles von Grund auf verwandelt hätte, daß die Welt strahlender, bedeutungsvoller geworden wäre, von einem Moment zum anderen. In der Nacht darauf träumte mir, daß wir zusammen in einem Boot säßen, einem traditionellen Kanu meines Volkes, und einen Fluß hinabtrieben, nur du und ich.«
    Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ohne ein Wort zu sagen. Wie kann das alles sein? dachte er. Wieso spricht sie Englisch wie ein britisches Mädchen? Wie schön ihre Augen sind und wie zauberhaft sie duftet, ihr Haar, ihr Atem, ihre Haut. Und sie träumt wahrhaftig meinen - unseren - Traum?
    »Eines Abends dann«, fuhr Ixnaay fort, »belauschte ich wieder die drei Abgesandten, deren Gespräche mir interessant geworden waren, seit sie einmal über mich gesprochen hatten. In offenkundiger Aufregung berichtete der Uralte diesmal seinen beiden Gefährten, daß er im Park des Gouverneurs den Götterboten gesehen habe, dessen Wiederkehr die Propheten seit vielen Katun vorhersagten. Er beschrieb dich so, daß ich dich sofort erkannte: der bleiche Zeichner mit der knochigen Gestalt und dem Blick eines Sehers. Es war der Abend, an dem du mir in die Gasse folgtest, wo meine Mutter und ich unsere armselige Pension betreiben. Du bist mir bis zu unserer Tür hinterhergegangen, dort aber bewußtlos zu Boden gesunken.«
    Er sah ihr in die Augen, und ihm war, als tauche er tief hinein in einen dunklen See. »So bin ich also wirklich dort gewesen?« Er fragte es mehr sich selbst als Ixnaay, die ihm immer noch forschend ins Gesicht sah, so aufmerksam, als versuchte sie seine verborgensten, ihm selber unbekannten Gedanken von seiner Stirn abzulesen. Hinter ihnen erklangen wieder die rituellen Gesänge der Menge, gedämpft und stetig wie der Wellenschlag einer fernen See. »Aber wie kann es dann sein«, fragte er, »daß ich nicht bei dir, sondern auf der Straße am Kai wieder zu mir kam?«
    Sie lächelte ihn an, liebevoll, doch auch ein wenig spöttisch, wie ihm schien. »Nun, dazu war keine Zauberei nötig, Bote der Götter: Es genügten ein wenig wacher Verstand und vier

Weitere Kostenlose Bücher