Im Tempel des Regengottes
hob die Knochenflöte und stieß abermals einen Pfiff aus, und da schwangen die sechs Priester die Äxte hoch über ihre Köpfe, und die Klingen flogen hernieder und bissen sich in die Leiber der Opfer, mit furchtbar schmatzendem Klang.
Und Robert sah, wie die sechs Männer aufschrien, doch wieder drang kein Laut aus ihren Kehlen, nicht einmal ein Stöhnen. Blut schoß aus den Arm-und Schenkelstümpfen, in fingerdicken Strahlen, und die abgehauenen Gliedmaßen schwangen, an Händen oder Füßen angebunden, unter der Nase Cha'acs und zwischen den lautlos schreienden Opfern hin und her. Robert starrte in ihre Gesichter, und in seinem Entsetzen schien es ihm das Gräßlichste überhaupt, daß die Männer dort droben nicht zu schreien, ihre Qualen nicht aus sich herauszuheulen vermochten, da ihre Kehlen wie durch einen Zauber gelähmt schienen.
Die Opferpriester hatten unterdessen ihre Äxte in das Maul des steinernen Gottes geschoben, die Klingen voran und die Schäfte so tief wie möglich in den Rachen stoßend. Aus dem Schlund des Idols drang abermals ein Gurgeln und Zischen, und Robert begann zu begreifen, was es mit d ieser göttlichen Apparatur auf sich hatte. Unter uns ist der Thronsaal, dachte er, an seiner Zigarre ziehend, und der steinerne Götterkopf befindet sich genau über dem hohen Kamin oder Ofen in der linken Ecke des Saals. Er war wie erstarrt vor Entsetzen, zugleich empfand er eine seltsame Fremdheit, selbst seinen eigenen Gefühlen gegenüber, als wäre er gespalten in einen, der sich entsetzte und das Grauen nicht länger zu ertragen meinte, und einen zweiten, der das Geschehen aufmerksam beobachtete, wie ein Theaterstück oder eine Serie von Daguerreotypien.
Als die Opferpriester sich wieder aufrichteten und die Äxte aus dem Schlund Cha'acs hervorzogen, waren ihre Klingen glühend rot. Gedankenschnell schwangen sie die Äxte empor und ließen sie aufs neue herniederfahren, diesmal mit der flachen Seite, der glühenden Klingenwange, und wiederum schrien die Opfer auf, lautlos, qualvoll, und ein widerlicher Gestank stieg auf, von brennendem Menschenfleisch, während die glühenden Klingen die Schulter-und Schenkelstümpfe verödeten.
»Ihr gottverfluchten Schinderaffen!« Robert fuhr herum, so weit es die Riemen unter seinen Achseln erlaubten. Paul hatte die Schmähung geschrien, mit überkippender Stimme, jedes einzelne fuchsrote Schnauzbarthaar gesträubt. »Laßt unsere Leute... Valentine... Manson... vermale...« Er hatte sich schon nach vorn geworfen, offenbar im Begriff, sich blindlings auf Ajkinsaj und die Opferpriester zu stürzen. Doch da fuhr von hinten ein Knüppel auf seinen Schädel nieder, und Paul sackte mit einem Seufze r in sich zusammen, zwischen Miriam, die beide Hände vor ihr Gesicht geschlagen hatte, und Mabo, der neben Ajkech kauerte und mit weit aufgerissenen Augen auf die Opferszene starrte.
»Was redest du da, Paul.« Die glimmende Zigarre in der Hand, sah Stephen auf ihn hinab. »Das sind Oldboys Leute, zum Donner, mit uns hat das alles nichts zu tun.« Seine Stimme klang verwaschen, seine Augen waren glasig. »Hörst du nicht, Paul, he!«
Doch Paul konnte seinem Kindheitskumpan nicht antworten, der Knüppelschlag hatte ihm das Bewußtsein geraubt. Benommen schaute Robert auf ihn hinab, eben wollte er Mabo auffordern, sich um Paul zu kümmern, da erklang von der Altarstätte her abermals ein durchdringender Flötenpfiff.
Rasch schaute er wieder zu Ajkinsaj und den Opferpriestern hinüber und sah eben noch, wie die abgehackten Gliedmaßen, jedes an einem eigenen Seil tanzend und schwankend, wie beim Puppentheater langsam im Maul des steinernen Gottes verschwanden, drei fahlhäutige, schütter behaarte Männerbeine, denen ebenso viele Arme folgten, willenlos winkend, muskulös und sonnengebräunt.
4
»Wir sind hier im ältesten Teil von Kantunmak, in einem Viertel, das seit langem nur noch Vergessene Welt heißt, yok'ol-ka' tub'säb'äl.« Ixnaay ließ Helens Arm los, ging einige Schritte auf das unkenntliche Wandgemälde zu und wandte sich dann zu ihr zurück. »Dieser Tempelsaal liegt dreißig Fuß unter der Erde. Schon vor etlichen tausend Jahren wurden hier Zeremonien zu Ehren Ixquics abgehalten, und noch heutzutage versammeln sich die Priesterinnen der Mondgöttin um diesen Altar, wenn auch nur noch selten und in geringer Zahl. Die Treppe dort hinten«, fügte sie hinzu, auf eine Wandöffnung deutend, die sich hinter einer Säule nur undeutlich
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