Im Tempel des Regengottes
Gewölbe eines Mutterbauchs, in dem ein winziger Krieger hockte, mit aufgerichtetem, bluttriefendem Glied.
Versunken sah er auf die Zeichen hinab, die seine Brust, seine Schenkel bedeckten, und auf einmal war ihm, als könnte er sie mühelos lesen. Aber es war ein ganz anderes als das gewohnte Lesen, kein verstandesmäßiges Entziffern, es war, als wäre sein Geist ein Windhauch, raschelnd im Laubwerk der Glyphen, die sich einzig in diesem Rascheln und Wispern offenbarten, auf keine andere Art. Benommen tatstete er über die Riemen, die ihn unter den Achseln und um seine Hüften an die Bahre banden. Er wußte genau, daß er mit dieser hölzernen Trage an der Pyramide lehnte, aufrecht, ein wenig schräg, unter seinen Füßen fünf Zoll dampfend heiße Luft. Aber es gelang ihm nicht, die Riemen über seiner Brust oder das Brett in seinem Rücken als wirklich wahrzunehmen. So angestrengt er sich gegen diese Vorstellung wehrte, gewann er doch mehr und mehr den Eindruck, daß er tatsächlich versteinert war, ein Bildnis am Fuß der Pyramide, eine verwitterte Säule, in deren Oberfläche bloß die Umrisse eines Mannes, ein Gesicht mit entrückt blickenden Augen gekratzt worden waren. Schmerzliche Trauer ergriff ihn bei diesem Gedanken, und zugleich dachte er, daß er nun endlich die Wahrheit gefunden hatte: Wahrhaftig, so ist es, sagte er sich, ich bin das steinerne Bildnis, und alles andere war nur ein Traum.
Ein schriller Flötenton riß ihn aus seinen Phantasien. Ungewiß, wieviel Zeit vergangen sein mochte, seit die abgehackten Gliedmaßen im Maul des Gottes verschwunden waren, wahrscheinlich nur wenige Augenblicke, denn die Priester standen noch in der gleichen Haltung da wie eben, unter ihren verstümmelten Opfern, mit beiden Händen auf ihre Äxte gestützt. Der Gestank nach brennendem Fleisch war noch ärger geworden, es war der gleiche Brodem, der vorgestern den Thronsaal verpestet hatte, ein Gestank nach schmorendem Haar und siedendem Fleisch.
Robert starrte zu den aufgeknüpften Männern hinüber. Jetzt erst bemerkte er, daß die Opferpriester über und über mit Blut begossen waren, ihre Haare, die Gesichter, das graue Gewand. Die Leichname aus Victoria Camp fielen ihm ein, die er in Pauls Glas gesehen hatte, ihre graurosa verquollenen Gesichter, noch gräßlicher entstellt d urch die daraufgepflanzte Rüsselnase Cha'acs. Die Aufgeknüpften schienen noch immer bei Bewußtsein. Sicher hatte Ajkinsaj befohlen, ihnen einen Zaubertrunk einzuflößen, der nicht nur ihre Stimmbänder lähmte, sondern ihnen auch die allerletzte Gnade der Ohnmacht verwehrte. An drei Gliedmaßen aufgeknüpft, das vierte abgehackt bis auf den brandroten Stumpf, hingen sie in steiler Reihe von Cha'acs Rüsselnase herab, sechs blutige Leiber, darunter die vom Wahnsinn verzerrten Gesichter, die Münder klaffende Höhlen im Dschungel ihrer Bärte, die Augen so verdreht, daß nur das Weiße zu sehen war.
Da vernahm er ein Stöhnen zu seinen Füßen. Paul, dachte er, aber es gelang ihm nicht, seinen Kopf zu senken und zu Paul hinabzusehen. Unverwandt starrte er zu dem riesenhaften Götterkopf und zu Ajkinsaj, der eben vor den wulstigen Mund seiner Gottheit trat. Die Trommeln hatten aufs neue eingesetzt, und die grauen Priester murmelten Beschwörungen, zu Hunderten im Chor. Robert erkannte nun mehrere Seile, die zwischen Cha'acs weit geöffneten Steinlippen schwankten, wie vorhin, als die abgehackten Gliedmaßen im Maul des Regengottes verschwunden waren. Die Trommelklänge wurden lauter, drängender, desgleichen die Beschwörungsrufe der Hunderte Priester, während an sechs Seilen ebenso viele Gliedmaßen aus dem Rachen des Idols aufstiegen.
Was zum Teufel -? dachte Robert und rieb sich sogar die Augen, aber es half nichts. Neuerlich starrte er zu dem riesigen Götterkopf, den wulstigen Lippen, zwischen denen die Gliedmaßen emportanzten, schaukelnd und gaukelnd wie im schauerlichsten Puppentheater. Es waren noch immer drei Arme und drei Beine, aber wie furchtbar verwandelt, mumienhaft eingeschrumpft, zu unförmigen graurosa Säulen, von denen Dampf aufstieg, als wären sie eingekocht oder gesotten worden. Der widerliche Geruch nach Fett und schmorendem Haar war noch stärker geworden, in der Kehle würgend, so daß Robert eine Hand vor Mund und Nase preßte. In ungläubigem Entsetzen sah er zu, wie Ajkinsaj eines der Beine losknüpfte, das in seiner Hand wie Gallert zu erbeben schien.
6
»Es ist nichts, nur eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher