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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Verschwörerinnen ja allesamt weise Frauen seid? Und weil es bei so großen Zielen auf eine Lüge, einen Menschen, den ihr ins Unglück stoßt, sowieso nicht ankommen kann?«
    Ixnaays Miene war noch starrer geworden, ihr Lächeln hatte sie längst verloren. Anstatt endlich auf Helens Vorwürfe zu antworten, wandte sie sich zur Seite, den beiden Priestern zu, die schon nahe der Treppe standen, aber offenbar nicht wagten, sich auf eigene Faust zurückzuziehen. »Ich danke euch«, sagte Ixnaay zu ihnen, »ihr könnt gehen. Wenn ihr noch einmal gebraucht werdet, lasse ich euch rufen.«
    Aufs neue erschien jenes wehmütige Lächeln in ihrem Gesicht, das jedoch so starr wie zuvor blieb. »Es sind zwei meiner Vertrauten«, sagte sie zu Helen, während die Schritte der Priester sich rasch entfernten. »Wir Frauen von Lomxitil, der ›offenen Messerwunde‹, sind durchaus keine Männerfeinde, wie du anzunehmen scheinst. Im Gegenteil - wir alle träumen von einer Wiederkehr jener idealen Zeiten, in denen die weibliche und männliche Hälfte der Welt noch harmonisch zusammenspielten. - Aber du redest ja schon«, sagte sie dann, in einen munteren Tonfall wechselnd, »als hättest du fast vergessen, daß unter diesem Burschenhemd ein weibliches Herz schlägt?«
    Und wenn ich es vergessen hätte, dachte Helen, dann wiederum durch deine Schuld, Schwester: weil du mir nicht nur Vater und Mutter vorenthalten, sondern auch noch Robert Thompsons Herz gestohlen hast. Aber dieser Vorwurf erschien ihr selbst mit einem Mal ungerecht und maßlos, auch begann sich ihr Gemüt bereits wieder abzukühlen, und so erwiderte sie, für den Moment versöhnlich, Ixnaays Lächeln und duldete sogar, daß die Ältere sie beim Arm nahm und mit sich zog.
    »Komm und laß dir zeigen«, sagte Ixnaay und führte sie um den steinernen Halbmond herum, auf ein verblaßtes Wandgemälde im hinteren Teil des Saales zu.

3
     
     
    Breitbeinig stand Ajkinsaj auf dem First der mittleren Pyramide. Sein Blick schweifte über die versammelten Priester, minutenlang, dann endlich senkte er seine Knochenflöte, führte sie an die Lippen und stieß einen schleifenden Pfiff aus. Im selben Moment verstummten die Trommeln, und die grauen Tücher flogen mit einem Rauschen empor, das kugelförmige Gebilde darunter entblößend. Robert fuhr herum und starrte es an, erfüllt von Grauen, aber mehr noch von dem völlig unerwarteten Eindruck eines Déjà vu.
    Wo nur hatte er diese Szene schon einmal gesehen, wo? In einem Theater, früheren Leben, hypnotischen Traum? Genau diesen monströsen steinernen Kopf, eine riesige nebelgraue Kugel, mit den leeren Augenhöhlen, den wulstigen Lippen, aufgerissen zu einem mitleidlosen Maul? Darüber die Rüsselnase Cha'acs, sechs Fuß lang, obszön emporgereckt und leuchtend rot? Wo nur, wo, wo? Und an diesem abscheulichen Stengel die ausersehenen Opfer des Regengottes hängend, eines unter dem anderen, in steiler Reihe, an Händen und Füßen aufgeknüpft?
    Benommen starrte er sie an, ihre herabhängenden Gesichter, die aufgerissenen Augen, darüber die gedrängte Masse ihrer nackten Leiber, fahle Haut, schwarz oder blond behaart. Im Moment war er viel zu durcheinander, um die Wirklichkeit dieses Anblicks zu erfassen, gar zu begreifen, wer diese drei, vier, sechs Männer sein mochten, die dort an der Rüsselnase des riesigen steinernen Götterkopfes hingen wie Schlachttiere auf dem Wochenmarkt von Soho.
    Wieder zog er an seiner Zigarre, fast ohne es zu bemerken. Er hörte, wie Stephen neben ihm »Valentine« und »Manson« und »Richard« murmelte und Paul, ebenso entgeistert, mit anderen Namen antwortete: »Laughton... Joe Highfoot... Stattman.« Aber diese Namen waren ihm gänzlich unbekannt, er verband nichts mit ihnen, keinerlei Wirklichkeit. Eher schien es Robert so, als ob die ganze grausige Szenerie aus traumhafter Tiefe emporgetaucht wäre, mit den an allen vieren aufgeknüpften Männern, ihren herabhängenden Köpfen über dem wulstigen Maul des Regengottes, und mit den Hunderten grauer Priester, die sich jetzt allesamt erhoben und eine Gasse bildeten, vom First der mittleren Pyramide hinab und durch den Hof hindurch, bis zu dem glotzäugigen Riesenkopf Cha'acs.
    Leise setzten die unsichtbaren Trommeln wieder ein, als Ajkinsaj die Stufen der mittleren Pyramide hinabschritt, an Ja'much vorbei, der den Blick von seinem höchsten Priester abwandte, und zwischen den Dutzenden oberer Priester hindurch, die sich allesamt vor ihm verneigten,

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