Im Tempel des Regengottes
rasch zu Ende gehen möge, ohne weitere Greuel und Qualen. Alles, alles ist verloren, dachte er, bis auf mein nacktes Leben. Und er war Stephen und Paul beinahe dankbar, daß sie ihn auch von dieser Last befreien würden, mit der er so wenig hatte beginnen können, seinem müde pochenden Herzen, seinem hölzernen Leib.
Düsterkeit und der Geruch von uraltem Stein. Mit jeder Plattform, die sie passierten, wurden die Luft dumpfer und kühler, die Schreie und Schüsse von der Stadt her matter. Bis schließlich nur noch ihre eigenen Schritte zu hören waren und ihr keuchender Atem. Ein einziges Mal waren sie auf Palastwächter gestoßen, die ihnen auf der Treppe entgegenstiegen und in der Bewegung erstarrten, die Blicke auf Ajkinsaj geheftet und auf den Dolch an seinem Hals. Kaum hatte Paul in ihrer Sprache einen Befehl gebellt, als sie auch schon davonstoben, die Treppe wieder hinab und durch einen Gang, der von der nächsten Plattform abzweigte. Danach hatte es keine Zusammenstöße mehr gegeben, Treppe um Treppe waren sie weiter hinabgestiegen, gänzlich unbehelligt, ohne irgend jemandem zu begegnen oder auch nur ein Räuspern in der Ferne zu hören.
Möglich, daß dort draußen schon niemand mehr am Leben oder in Freiheit war, dachte Robert, jedenfalls kein Maya, daß sie alle von den Soldaten Ihrer fahlhäutigen Majestät zu blutigen Klumpen zerschossen oder in Fesseln gelegt worden waren, sechsmal zehntausend kakaohäutige Krieger, die allesamt an die Prophezeiung geglaubt hatten: daß er, Robert Thompson, Bote ihrer Götter, gekommen war, um sie zum glanzvollen Sieg und ihr Volk zu alter Macht und Pracht zu führen.
Aber der vorgebliche Retter der Maya war nur eine ohnmächtige Geisel gewesen, von Anfang an, den Gefährten ausgeliefert, die sich seiner bedient hatten, schlau und skrupellos wie die Märchenkumpane, denen sie so sehr ähnelten, Kater und Fuchs.
Endlich erreichten sie den Fuß der Treppe, tief unter der Erdlinie, dreihundert Fuß oder mehr. Roh behauene Gänge führten in alle vier Himmelsrichtungen, und nachdem Miriam die Schatzkarte entfaltet und sich mit Stephen durch rasche Blicke verständigt hatte, deutete sie mit der Fackel auf den nordwärts führenden Gang. Aufs neue setzten sie sich in Bewegung. Doch schon nach wenigen Dutzend Schritten endete der Gang vor einer massiven Steinplatte, die keinerlei Griffe oder Aussparungen aufwies und sich weder durch Pauls Tritte noch durch Stephens Fäuste bewegen ließ. Die Platte war exakt in den Felsgang eingepaßt und in ihrer ganzen Höhe und Breite mit der stilisierten Darstellung eines weit aufgerissenen, furchterregend gezähnten Mauls bemalt. Ein Gewirr von Glyphen und kleineren Bildnissen zog sich um das Monstermaul herum, jaguarköpfige Wesenheiten, tanzende Skelette, Greifvögel mit geschecktem Gefieder und über allem schwebend eine grauenvolle Gottheit, die mit Halsketten aus Totenschädeln geschmückt war und unter deren zerfetzter Haut und verwesendem Fleisch die blanken Rippen hervorsahen.
»Xibalba.« Mabo flüsterte es, seine Lippen nah an Roberts Ohr. Er und Ajkech hatten die Bahre schräg gegen die Wand gelehnt, drei Schritte hinter den Kumpanen und ihrer Geisel, die dicht vor der steinernen Tür standen. »Die neunfaltige Unterwelt des alten Volkes, Herr. Neun Gottheiten sollen dort unten residieren, in ihren Schreckenspalästen, von denen die alten Geschichten erzählen. Tzotz, der Fledermausgott, der furchtbare Todessauger - dort in halber Höhe. Und dieser da ist der Jaguargott der Unterwelt, der die Seelen der Furchtsamen zerreißt.« Während Mabo flüsterte, zeigte er in die ungefähre Richtung der Bildnisse, die er jeweils erläuterte, und Robert sah, daß der Arm des Mestizen zitterte. »Und dort oben, über dem Maul von Xibalba schwebend, das ist Ahpuch, der oberste Totengott und Regent der Unterwelt.«
Abermals deutete Mabo auf das blutrote Monstermaul, doch er kam nicht dazu, Robert weitere Gottheiten zu erläutern. Paul war neben Ajkinsaj getreten, ein mageres Männchen neben der wuchtigen Gestalt des Regengottpriesters.
»Jebbej!« Paul machte sich nicht mehr die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. »Aufmachen!« Er kreischte es Ajkinsaj ins Gesicht. Doch der oberste Priester, Stephens Dolch an der Kehle, schüttelte nur abermals den Kopf, behutsam, um sich nicht mit der Klinge zu verletzen.
»Er soll das Ding da aufmachen, sonst reiß' ich ihm was ganz anderes auf.« Miriam deutete mit dem Kinn auf die
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